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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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ich. Mein Puls hatte sich von einem Schlag zum nächsten nahezu verdoppelt.
    »Hier zum Beispiel«, sagte sie, und ihr Tonfall enthielt keine Anspielung auf das, was in dieser Nacht zwischen uns geschehen könnte.
    Etwas oberhalb der Straße, umrahmt von flammenden Ahornbäumen, thronte ein protziges Gebäude aus groben Titanensteinen bis übers Erdgeschoß, darüber erhoben sich aus dunkelrot gebeiztem Holz drei Stockwerke mit Erkern und Balkonen, die Fenster waren weiß gestrichen. Der Eingang war von weißen Säulen eingefaßt, darüber stand auf einem Schild: Old Hotel Dutchess .
    »Laß uns hier übernachten«, sagte sie. »Wir können erst etwas essen, und anschließend spazieren wir zum Hudson hinunter und ein Stück am Wasser entlang.«
    »Das ist mit Sicherheit das teuerste Hotel auf der Strecke«, sagte ich.
    »Du hast heute Geburtstag, Luke«, lachte sie. »Vergiß das nicht!«
    Die Eingangshalle war weitläufig, in Gruppen waren Tischchen und Fauteuils verteilt, wo Paare saßen, alle schon älter, fein gekleidet, duftend, Zigarre rauchend, Tee trinkend. Auf einer Seite stand eine gläserne Kuchentheke neben einer Bar aus rustikaler Eiche; auf der anderen war die Rezeption, ein zehn Meter langer Tresen, der mit schwarzem, goldgenietetem Leder überzogen war. An der Decke über der Lobby hing eine goldbesprenkelte, riesige ovale Glasscheibe, die eine milde Beleuchtung gab. Ich legte meinen Arm um Maybelle, und so traten wir zu dem jungen Mann, der allein an der Rezeption seinen Dienst tat. Er hatte einen schmalen, zu zwei Strichen gestutzten Oberlippenbart, braune Haare und kontaktlinsenblaue Augen.
    »Wir würden gern für eine Nacht in Ihrem Hotel buchen«, sagte ich.
    Er lächelte, wie es Flugbegleiter so beeindruckend können, als wäre er ein wenig auch unser Freund. »Zwei Einzelzimmer oder ein Doppelzimmer?«
    Ohne zu überlegen sagte ich: »Ein Doppelzimmer.«
    Maybelle zeigte keine Reaktion, als hätte sie nie etwas anderes erwartet.
    »Ein Doppelzimmer, bitte«, wiederholte ich, und wieder schlug mein Herz, daß ich meinte, der Mann vor mir müßte es unter meinem Hemd sehen können. »Wenn möglich, eines mit Blick auf den Hudson.«
    »Sie haben kein Gepäck, Sir?«
    »Das ist richtig. Wir wollten eigentlich heute noch nach New York zurückfahren. Wir haben es uns anders überlegt. Sie haben sicher eine Zahnbürste und einen Kamm für uns.«
    Er nickte, lächelte weiter freundlich, schlug sein Buch auf, das so breit war wie seine beiden Unterarme, und sagte etwas lauter als nötig. »Sie haben nicht vorbestellt, Sir?«
    »Natürlich nicht. Wir haben vor einer halben Stunde noch gar nicht gewußt, daß wir überhaupt ein Hotel brauchen.«
    »Gut, ich werde schauen, was sich tun läßt.«
    Und dann geschah das Unglaubliche. Noch mit dem Lächeln dessen, der, etwas überlaut zwar, aber absolut korrekt, seinen Job erledigt, zischte er, ohne mich dabei anzusehen: »Wir sind kein Bordell, weißt du das? Und schon gar nicht eines, in das einer seine Negerhure abschleppen kann.« Um gleich darauf seinen Blick zu heben und nahtlos im freundlich überartikulierten Tonfall seiner Profession anzuschließen: »Tut mir leid, Sir, wir haben leider kein Zimmer mehr frei.«
    »Was haben Sie eben gesagt?«
    »Daß wir leider kein Zimmer mehr frei haben. Es wäre gut, wenn Sie das nächste Mal telefonisch ein Zimmer vorbestellen würden, Sir. Ich gebe Ihnen gern eine Karte des Hotels, da steht alles drauf, Telefonnummer, Adresse.«
    Maybelle hielt mich am Arm fest. »Gehen wir«, flüsterte sie. »Schnell, komm, Luke!«
    »Nein«, sagte ich. Für einen Augenblick schossen rote Flammen vor meinen Augen hoch, ich wandte mich an die Gäste, die in der Lobby waren: »Sehr verehrte Herrschaften!« rief ich. »Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Ich möchte Ihnen mitteilen, was dieser Herr an der Rezeption soeben zu mir gesagt hat.« Aber das war verrückt von mir, und es wurde mir klar, als die Flammen in sich zusammenfielen, nämlich daß ich Maybelle unendlich mehr demütigen würde, wenn ich tatsächlich laut wiederholte, was der Typ mir zugeflüstert hatte. Einige der Leute, die in der Halle in ihren Lederfauteuils saßen, wandten mir den Kopf zu. Die meisten taten, als hätten sie nichts gehört, unterhielten sich weiter, saugten an ihren Zigarren, nippten an ihrem Tee. Ich spürte, wie mein Gesicht den Ausdruck eines perfekten Idioten annahm.
    Maybelle sagte: »Luke, ich gehe jetzt. Wenn du mitkommen willst, komm

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