Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
Sammlerwert besitze; daß es sich bei diesem Modell um eben jenes handle, über das Janis Joplin gesungen habe – alles Dinge, die mich zu hundert Prozent nicht interessierten. Die Sonne stach durch das offene Verdeck auf meinen Hinterkopf, vor uns fuhr ein Gasolinetruck aus blankem Metall, ich sah unseren schwarzen Leichenwagen mit unseren Gesichtern verzerrt darin gespiegelt, und ich dachte: Something is happening here, but you don’t know what it is. Do you, Mr. Lukasser? Seither hatten wir nicht mehr von uns selbst erzählt, und unsere wundersamen zweiten Ichs hatten sich verdünnt und verduftet. Maybelle kam jeden Tag in The Best of Chicken Bones, um mich abzuholen und zwei Stunden mit mir zusammenzusein; aber ich wußte nicht, warum sie das tat. Sie machte sich schön, eindeutig verführerisch schön; aber ich zweifelte, ob sie sich für mich schön und verführerisch machte. Vielleicht hatte sie tatsächlich Abe versprochen, sich um mich zu kümmern, und Abe hatte ihr entsprechende Anweisungen gegeben, die über meine Ernährung hinausreichten. Das traute ich Abe zu. »Wenn du schon nicht mit ihm schlafen willst, obwohl ich es ihm prophezeit habe, dann mach dich wenigstens schön für ihn, damit er ein paar Bilder hat, wenn er wieder allein bei sich zu Hause ist!« Abe hatte sich für einen objektiven Experten auf dem Feld der Heterosexualität gehalten, und was dort aufgeführt wurde, war ihm, im Gegensatz zur Bühne der Homosexualität, die ihm allein als edel genug für Tragödie, Pathos und Hysterie galt, wie Kabarettprogramm erschienen. Einmal fragte er mich: »Lacht ihr, wenn ihr es miteinander treibt?« Ich sagte: »Manchmal schon.« Und er rief aus: »Habe ich es doch immer vermutet!«
    An dem Nachmittag unter dem Monument im Fort Greene Park, als sie ihr Courrèges-Kleid trug (wenige Stunden zuvor hatte ich Carl aus der Telefonzelle gegenüber dem koreanischen Restaurant in der Nähe der Williamsburgh Savings Bank angerufen), teilte ich Maybelle mit, daß ich von nun an selbst für meine Ernährung sorgen wolle, und bat sie, nicht mehr mittags in The Best of Chicken Bones zu kommen, um mich abzuholen.
    Da weinte sie und sagte: »You can’t do that to me, Luke!«
    Ein anderes Beispiel für ihre Unberechenbarkeit: Irgendwann – viel später allerdings – wollte ich Maybelle von Carl erzählen; daß er so etwas wie der Schutzengel unserer Familie sei, ohne den wir Lukassers schon längst vor die Hunde gegangen wären. Der Einstieg in die Erzählung ist mir mißlungen. Bereits der erste Satz, noch bevor ich den Namen meines Freundes ausgesprochen hatte, hörte sich an, als wollte ich ein Geständnis ablegen. Warum hatte ich, der ich vor Maybelle mein ganzes Leben von Anfang bis Ende und wieder retour erzählt hatte, in Gesamtschau und Detailansicht, und das, weil sie, wie sie sagte, verliebt in meine Geschichte sei – »my sweet Luke lullaby« –, nicht nur einmal, sondern bei jeder Gelegenheit, am liebsten, wenn wir zusammen im Bett lagen, warum hatte ich ihr nie, nicht einmal bis dahin, mit nicht einem Wort, in nicht einer Andeutung von dem großen Carl Jacob Candoris erzählt?
    Sie reagierte, als hätte sie auf genau diese Geschichte gewartet; als wäre sie die ganze Zeit, seit wir uns kennen, gespannt gewesen, ob ich wohl den Mut fände, ihr von diesem Menschen zu berichten. Ihr Körper straffte sich, sie war hellwach – nichts von der somnambulen Entrücktheit, in die sie für gewöhnlich verfiel, wenn sie mir zuhörte. Sie stellte Fragen. Ob dieser Mann mit uns verwandt sei. Ob wir Schulden bei ihm hätten. Ob er irgendwelche Geheimnisse über uns wüßte. Ob er mit einem aus unserer Familie irgendwann irgend etwas gehabt habe.
    »He!« sagte ich. »Maybelle! Mit wem soll er etwas gehabt haben? Was redest du da! Er und Margarida sind unsere besten Freunde. Die beiden haben für uns gesorgt. Sie haben uns gerettet.«
    Die Frau interessiere sie nicht, sagte sie. Ob ich mit Sicherheit ausschließen könne, daß dieser Mann auch nicht weitläufig mit uns verwandt sei.
    »Ja, das kann ich. Aber was hat das damit zu tun?«
    Ich sage ihr nicht die Wahrheit, jedenfalls nicht die ganze Wahrheit, beharrte sie. Sie spüre das.
    Ich mußte immer wieder nachhaken, weil sie sich von mir wegdrehte und beim Sprechen den Mund nicht aufmachte, was ich gar nicht von ihr kannte. Sie war sehr aufgeregt und wollte nicht, daß ich es ihr anmerke.
    Einige Tage später kam sie auf Carl zurück. »Ich habe über

Weitere Kostenlose Bücher