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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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irgendeiner seiner Vorgänger aus Weidenruten oder ähnlichem geflochten und genagelt hatte. »Mich finden Sie, wenn Sie die nächste Abfahrt vom Freeway nehmen und sich immer rechts halten. Irgendwann sehen Sie unser Haus. Ein Fahnenmast steht davor, an dem hängen zwei Flaggen, die amerikanische und die polnische. Oben die amerikanische, darunter die polnische. Mir wäre es lieber umgekehrt. Kennen Sie die polnische Flagge?«
    »Nein.«
    »Sie kann man sich gut und einfach merken: Oben ist sie weiß, unten ist sie rot.«
    Während er in seinem Pickup davonfuhr, ragte seine Hand aus dem Autofenster, die Finger grapschten ins Leere hinein.
    Meinem Notizbuch entnehme ich, daß ich am Freitag, dem 19. Oktober 1984, Suka zum erstenmal sah. Ich war an diesem Nachmittag nicht weit gegangen, weil ein starker und eisiger Wind mir stur von Nordosten her ins Genick blies und die Wolken so niedrig über meinen Kopf trieb, daß ich meinte, sie streiften meinen Wirbel; und ich mir elend verloren vorkam draußen zwischen diesen Kegeln aus unsicherem Gestein, die sich in der Sonne so farbenprächtig präsentierten, bei schlechtem Wetter aber nicht weniger trostlos waren als die ausgebrannten Blocks von South Bronx. Ich wollte nach Dickinson fahren und Toni und Lenny fragen, ob sie etwas dagegen hätten, mit mir den Abend zu verbringen; ich wußte, daß sie nichts dagegen hatten; wir würden Karten spielen, Poker um Cent-Einsätze, oder eines der Spiele, die Toni aus Österreich mitgebracht hatte – Mensch-ärgere-dich-nicht zum Beispiel. Als ich zum Haus zurückkam, lagen, wild durcheinander- und übereinandergeworfen, abgerindete und abgeastete Baumstämme davor, manche nur einen Meter lang, andere über drei Meter lang, ausgedörrt und silbrig und in tiefe Spalten zerrissen, altes Holz. Auf den Stufen zur Veranda waren sauber aufgereiht: ein großes Beil, ein kleines Beil, zwei Eisenkeile und eine Motorsäge sowie ein Kanister mit Treibstoff, ein Paar tellergroße Lederhandschuhe, eine Schutzbrille und ein Plastikhelm. Die Fürsorglichkeit, die sich in den Handschuhen, der Brille und dem Helm ausdrückte, war mir unangenehm, mehr als das, ich verspürte einen Widerwillen, diese Dinge auch nur anzugreifen; bei einem anderen hätten sie mich gerührt, bei Lenny zum Beispiel – von Tadeusz Zukrowski wünschte ich mir solches Entgegenkommen nicht.
    Ich setzte mich in den Toyota und fuhr zum Freeway und bei der nächsten Ausfahrt wieder herunter. Ich sah das Haus mit den beiden Flaggen auch gleich vor mir. Inzwischen stürmte es so heftig, daß ich mit dem Lenkrad hart dagegenhalten mußte, um nicht von der Spur abzukommen. Das Haus sah unbewohnt aus, in schäbiger Auflösung begriffen. Die Fenster im ersten Stock waren eingeschlagen, die Sprossen geknickt, aus einem der Fensterlöcher flatterte ein grauer Vorhang. Die Bodenbretter der Veranda waren an den Seiten verfault und eingetreten. Aus der Scheune, die neben dem Haus stand, waren das Tor und die Hinterwand herausgebrochen; der Sturm rüttelte am Dach, an einer Ecke hatte es den Kontakt zu den Wänden darunter verloren, dort bäumte es sich gefährlich auf. Die Rottmeiers fielen mir ein. Maro hätte hierhergepaßt, er hätte ein Viertel des Weltkreises zurückgelegt, um hier das gleiche Leben zu führen wie in Nofels; als wäre nichts anderes von ihm verlangt worden, als sich für eine kleine Zeit zwischen seinen Schrottautos in die Luft zu erheben, damit die Erde unter ihm weiterrolle, und wäre schließlich hier gelandet – ten thousand miles from home . Ich blieb vor der Veranda stehen, stieg aber nicht aus dem Wagen, sondern hupte. Nach einer Weile trat Tadeusz Zukrowski in die Tür, mit einem Fuß blieb er im Haus und winkte mich zu sich, wobei er in den Knien federte; ich wußte nicht, ob vor Ungeduld oder vor Freude. Als ich aus dem Wagen stieg, prallte ein Windstoß gegen meine Brust, und ich mußte mich am Gestänge des Rückspiegels festhalten.
    Er zog mich am Ärmel dicht ans Haus, versperrte mir aber den Zutritt. »Das hat nichts zu bedeuten«, brüllte er gegen den Sturm an, »morgen darf er noch blasen, übermorgen scheint die Sonne wieder, und sie scheint noch eine Woche oder zwei, und dann erst kommt der Winter. So lange haben Sie noch Zeit für das Holz.«
    Er grüßte noch einmal und ließ mich ein. Ich bedankte mich und tat das ungeschickt, nämlich viel zu überschwenglich, was mich vor ihm kleinmachte. Er lächelte und nickte und ließ mich wieder nicht

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