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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Erste-Sätze-Poem Gefallen gefunden –, hob, wenn nötig, bei der Wells Fargo Bank Geld von dem Konto ab, das ich mir noch in New York in diesem für meine Ohren romantisch klingenden Institut eingerichtet hatte, und kaufte, als die Sonne niederging, im Supermarket gleich neben der Auffahrt zum Freeway ein, was ich für die kommende Woche brauchte. Brot war übrigens ein Problem. Es gab nur helles Brot, das war nach einem Tag wie gepreßtes Stroh und nach zwei Tagen ungenießbar. Toni riet mir, mein Brot selbst zu backen, sie halte es auch so. Bei meinem nächsten Besuch hatte sie in einem Pappkarton alles zusammengestellt, was ich brauchte – Roggenmehl, eine vakuumverschweißte Sauerteigmutter, Hefe, Gewürze und in einem Kuvert das Rezept. Ich stellte mich nicht ungeschickt an, die Kruste erinnerte die ersten paar Male zwar an die Felsküste auf Lanzarote, innen aber war das Brot weich, feucht und aromatisch, und es blieb auch lange so. In einem Spezialgeschäft, das mir Lenny empfohlen hatte, kaufte ich mir eine Angel samt Grundausstattung und die teuersten wadenhohen Wanderschuhe, die angeboten wurden, und das beste: einen breitkrempigen Hut aus Känguruhleder. Lenny sagte, ich solle mir ein Gewehr zulegen. Wozu, fragte ich. Ob ich mir bewußt sei, daß ich dort draußen zwar völlig einsam, aber ganz und gar nicht allein lebe, antwortete er. Ich werde es mir überlegen, sagte ich. Die Vorstellung, eine Waffe zu besitzen, löste tatsächlich einen enormen Reiz in mir aus; und als ich Lenny das nächste Mal traf, bat ich ihn, mir doch so ein Ding zu besorgen. Er blickte mich geduldig wissend unter hängenden Augenlidern an; er hatte bereits eines besorgt, auf Kommission, ein sogenanntes Lever-action- oder Unterhebelrepetiergewehr der Firma Browning; es kostete, inklusive dreihundert Schuß Munition, satte 850 Dollar. Lenny hatte seine eigene Büchse draußen in seinem Wagen, und nachdem wir in der Mensa Spinat mit Salzkartoffeln und zum Nachtisch einen Apple Pie gegessen hatten, fuhr er mit mir hinaus, und den ganzen Nachmittag lang ballerten wir auf Blechdosen. Er hatte sich extra dafür freigenommen. Ob ich das Gewehr denn nicht anmelden müsse, ob ich nicht überhaupt einen Waffenschein benötige, fragte ich ihn. Doch, doch, brummte er, den alten Scout spielend, aber eigentlich auch nicht, dem Gesetz nach wahrscheinlich schon, in Wahrheit jedoch spiele es hier oben keine Rolle; wichtiger sei, daß ich mich nicht beim Fischen erwischen lasse – »oder wie mein bessarabiendeutscher Großvater gesagt hätte: beim Angeln«.
    Von Anfang an bemühte ich mich, einen geregelten Tagesablauf einzuhalten. Ich stand um sechs Uhr auf, nahm mein Waschzeug und den Eimer und ging hinunter zum Brunnen. Ich zog mich aus und schüttete mir kaltes Wasser über den Kopf, seifte mich von Kopf bis Fuß ein und spülte mit zwei Eimern nach. Diese Tortur hatte mir beim Entzug sehr geholfen, und aus Dankbarkeit ins Blaue hinein behielt ich sie bei, sogar im Winter; jedenfalls, solange der Brunnen nicht zugefroren war. Manchmal, wenn ich Laune hatte, lief ich zum Fluß hinunter und schwamm eine halbe Stunde. Zurück im Haus, startete ich den Generator und bereitete Frühstück. Während das Kaffeewasser heiß wurde, las ich in einem der Bücher, die ich aus der Universitätsbibliothek ausgeliehen hatte, und schrieb Wörter und Redewendungen, die mir gefielen, in ein Notizbuch. Von acht bis zwölf setzte ich mich an die Schreibmaschine. Solange es die Temperaturen zuließen, arbeitete ich auf der Veranda. Im Haus war es nämlich ziemlich düster, weil die Fenster alle zur Veranda hinausgingen, und die war eben überdacht, und das Dach ragte einen halben Meter über die Balustrade hinaus. Nach der Arbeit bereitete ich mir ein Mittagessen zu. Ich war nicht hungrig, und ich kochte nicht gern; aber auch dieses Ritual hatte mir den Entzug leichter gemacht – bildete ich mir jedenfalls ein –, und deshalb pflegte ich es weiter: als eine Art Zeremonie in der Mitte des Tages, zwischen meiner Arbeit und meiner übrigen Zeit; von der übrigen Zeit nämlich drohte Gefahr. (Dies ist meine Erfahrung: Ebenso wie die Sucht aus jeder noch so banalen Gewohnheit eine Zeremonie formt und sich mit ihrer Hilfe verfestigt, kann ihr mit Zeremonien widerstanden werden, wobei die Zeremonien der Entwöhnung eine gewisse Außergewöhnlichkeit aufweisen sollten, weil diese hilft, ihnen den Charakter des Zwanghaften zu verleihen – in diesem Fall wirkt Zwang

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