Abendland
Beerdigung eines mit ihr nicht verwandten Mannes zu reisen, und vielleicht gleich auch die Erlaubnis, bei dieser Gelegenheit mit ihrem Sohn und ihrem Enkel zu sprechen. Antwort aus Frankreich bekam ich nicht. Dagmar konnte es sich einteilen. Die dauernden Verschiebungen verunsicherten sie allerdings; es sei »kein gutes Omen«, sagte sie. Was sie damit meine, fragte ich. Sie wisse es nicht, es sei nur so eine Ahnung. Ich hörte einen Ton heraus, der mir bekannt war. »Ist die Schwäbin esoterisch geworden?« fragte ich – beherrschte mich im letzten Augenblick, um nicht »deine Schwäbin« zu sagen. Ich solle sie in Ruhe lassen, entgegnete sie – ohne Wut, ohne Lust zu streiten, ohne genervt zu wirken.
Ich hatte für David Lukasser, Dagmar Lukasser und mich im Hotel Central drei Zimmer bestellt und sicherheitshalber noch eines für meine Mutter, falls sie doch aus Frankreich käme – auf den Namen Schwester Benedicta Teresa.
An der Rezeption fragte ich, ob Frau Lukasser bereits eingetroffen sei. Der junge Mann mit der Kapitänsuniform, dem kahlrasierten Schädel, dem Bocksbärtchen am Kinn und den Tätowierungen, die bei manchen Bewegungen aus dem Hemdkragen und unter den Manschetten hervorlugten, drehte sich zum Schlüsselbord, fuhr mit dem Finger in der Luft die Zimmernummern ab und plapperte unseren Familiennamen vor sich hin.
Ja, Frau Lukasser sei eingetroffen.
David schwang den Rucksack über die Schulter und zog mich über die Stufen hinauf. Er klopfte bei 217, die Tür wurde geöffnet, und meine Mutter stand vor uns. Sie hatte sich unter ihrem – sagt man in diesem Fall bürgerlichen? – Namen eingetragen: Agnes Lukasser.
Alle drei waren wir sehr verlegen.
Sie trug eine Brille, die Hälse an ihren Zähnen waren länger geworden, sie hatte zugenommen. Die Haare hatte sie unter dem Skapulier versorgt. Das grobe, braune Kleid reichte bis zur Mitte der Waden, die waren nackt, die Füße steckten in klobigen Sandalen mit silbernen Schnallen. Ich hatte David ihre Geschichte erzählt, er war darauf vorbereitet, daß sie uns in Ordenstracht gegenübertreten würde. Er erschrak trotzdem. Er gab ihr die Hand und deutete eine Verbeugung an. Sie drückte ihn an ihre Brust und ließ ihn lange nicht los, ihre Hand zitterte über seinen Hinterkopf, und einen Finger drehte sie in seine Haare hinein. Daß ich sie vermißt hätte, hörte ich mich sagen, daß wir endlich wieder alle zusammen seien. Eben nicht alle, korrigierte sie mich. Sie blickte mir auf den Mund, während ich redete, aber das kannte ich von ihr, sie blickte jedem auf den Mund. Mein Vater hat sich einmal bei mir darüber beklagt, weil er meinte, sie höre ihm nicht zu, sie schaue durch ihn hindurch, und ich hatte zu ihm gesagt, sie schaut nicht durch dich hindurch, sie möchte eben nichts von dem verlieren, was du sagst, und darum schaut sie dir auf den Mund, kapierst du das denn nicht?
Auf der Ablage im Eingangsbereich stand ihr Koffer. Es war derselbe, den sie gepackt hatte, als sie sich vor fünfzehn Jahren aus der Welt verabschiedet hatte. Ich war damals bei ihr gewesen in unserem Haus in Nofels, das bereits an jemand anderen vermietet war, der uns aber erlaubte, Dinge, von denen wir nicht wußten, ob wir sie noch brauchten, vorläufig in der Scheune abzustellen. (Eine Frage, um deren Beantwortung wir uns beide drückten: Was sollte mit dem Studio meines Vaters werden, den Aufnahmemaschinen, dem Mischpult, den Mikrophonen, den unzähligen Bändern?) Sie war fröhlich und aufgeregt gewesen, als würde sie als Au-pair-Mädchen nach England fahren. Einen Gegenstand, der sie an meinen Vater erinnere, und einen Gegenstand, der sie an mich erinnere, wolle sie mitnehmen, sagte sie, nur Kleines, und ein Bild von Carl und ein Bild von Margarida. Mehr von der Welt könne sie nicht vertragen. Was, fragte sie, soll mich an dich erinnern? Mein Kopfkissen hatte sie mitgenommen.
David fragte, ob die Kutte angenehm zu tragen sei. Sehr angenehm. Ob das Klosterleben angenehm sei. Sehr angenehm. Ob sie es nie bereut habe. Nie. »Wenn die Menschen wüßten, wie es im Kloster ist, würde niemand mehr draußen leben wollen.«
R und Ü klangen französisch. Bildete ich mir das ein? »Du bist eine richtige Französin geworden«, sagte ich.
»Wie meinst du das?«
»Auf jeden Fall nicht böse.«
»Ich habe sehr gut Französisch gelernt, ja. Falls du das meinst.«
»Sebastian hat mir erzählt«, plauderte David weiter, »ihr dürft im Kloster nicht reden.«
»Dein
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