Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Titel: Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Rammstedt
Vom Netzwerk:
haben Angst vor der Polizei, Sie haben Angst um
Ihr Bein, aber am meisten Angst haben Sie vor dem glücklichen Ende, weil Sie
erst dann merken werden, wie dringend nötig Sie es eigentlich haben, weil es
erst danach etwas zu verlieren gibt. Sie wollen lieber kein Glück, weil Sie
befürchten, dass all das, was Sie jetzt für Ihr Glück halten, plötzlich nichts mehr
wert ist.
    Das glaube ich, Herr Willis. Und Sie wissen, dass ich recht habe.
Also gut, gehen Sie nach Hause. Gehen Sie zurück in Ihre gemütliche
Übersichtlichkeit. Aber denken Sie bloß nicht, Sie könnten ab jetzt irgendeinen
ungestört glücklichen Moment erleben. Immer wird da diese Stimme sein, die
Ihnen ins Ohr flüstert, dass Sie es in Wahrheit nur mit einem minderwertigen
Glücksimitat zu tun haben. Das wird meine Stimme sein, Herr Willis. Nur, dass
Sie es wissen.
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    Bei unseren Spaziergängen wies mich mein ehemaliger
Bankberater ständig auf Dinge hin. »Schauen Sie mal, eine Baustelle«, sagte er,
und: »Schauen Sie mal, eine Ampel«, und: »Schauen Sie mal, ein Spatz.« Er wies
mich auf Menschen hin und auf Steine und Ritzen zwischen den Steinen und auf
winzige Steine, die in den Ritzen steckten. Wir kamen nie weit und
mussten es zum Glück auch nicht.

Sehr geehrter Herr Willis,
    oder liegt es am Geld? Ich weiß nicht genau, was Sie normalerweise
für ein Gehalt bekommen. Wahrscheinlich wird mein Angebot etwas unter Ihrem
üblichen Satz liegen, aber ich werde noch einmal mit meinem Verlag sprechen.
    Ich melde mich dann wieder,
    Tilman Rammstedt
    Im Sommer schlug mein ehemaliger Bankberater vor, am
Wochenende gemeinsam zu zelten. »Nicht als Bankberater und Kunde«, sagte er,
»sondern von Mensch zu Mensch.« Als ich ihn am Freitag in seinem Büro abholen
wollte, hatte er das Zelt schon aufgebaut. Wir aßen Kartoffelsalat. Wir
schauten auf die Gitarre, die mein ehemaliger Bankberater mitgebracht hatte,
die aber keiner von uns spielen konnte. Nachts lagen wir auf unseren Iso-Matten
und lauschten dem Surren der Klimaanlage. »Diese Stille«, sagte mein ehemaliger
Bankberater, und als er merkte, dass er sie dadurch gestört hatte,
entschuldigte er sich flüsternd. Morgens weckte er mich mit Brötchen von
der Tankstelle. Sie waren noch warm.

Sehr geehrter Herr Willis,
    nun, ich habe mit meinem Verlag gesprochen. Wir können
Ihnen € 500 (inkl. MwSt.) für Ihre
Mitarbeit zusichern. Mehr ist leider nicht möglich (Wirtschaftskrise, schwierige
Lage des Buchhandels, mangelndes Vertrauen in meinen Roman).
    Ich weiß, das ist nicht viel. Aber vielleicht hilft es Ihnen, um
sich zumindest einer Sache am Ende sicher zu sein. Denn außer dem Honorar kann
ich Ihnen leider wenig garantieren. Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass wir
heil aus der Geschichte rauskommen. Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass wir
uns am Ende kurz, aber herzlich umarmen. Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass
Sie unterwegs eine attraktive Frau aus akuter Gefahr befreien, die Sie dann
aber zurücklassen, weil das besser für Sie beide ist. Ich kann Ihnen noch nicht
einmal garantieren, dass wir Ihr Bein retten können. Ich kann Ihnen lediglich
garantieren, dass ich alles für ein glückliches Ende tun werde. Wenn Sie mir
garantieren, dass Sie das ebenfalls tun. Wir müssen uns gegenseitig retten. Wir
müssen einander vertrauen. Und ist Vertrauen nicht viel mehr wert als jedes
Bein?
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    Als Kind wollte mein ehemaliger Bankberater, wie er mir
erzählte, nie Lokomotivführer oder Fußballer werden, sondern immer schon
Bankberater. Und manchmal sehe er sein fünfjähriges Ich neben sich stehen, in
kurzen Hosen, mit diesem Topfschnitt, eine Eiswaffel in der Hand. Das
fünfjährige Ich würde stolz und glücklich lächeln. »Wir haben es also
geschafft«, würde es sagen, und mein ehemaliger Bankberater würde auch lächeln
und ihm das Haar verwuscheln. »Nein, nicht wir«, würde er sagen und seinem fünfjährigen
Ich das Eis wegnehmen. »Ich habe es geschafft.« Und dann würde er genüsslich am
Eis lecken, auch wenn es Erdbeereis wäre und er Erdbeereis eigentlich
gar nicht möge.

Sehr geehrter Herr Willis,
    also kommen Sie, lassen Sie das Paddel bitte sinken. Hören
Sie auf, mir zu drohen. Das ist doch lächerlich. Wir sind doch beide erwachsen,
da können wir unsere kleine Meinungsverschiedenheit auch vernünftig klären.
    Außerdem sollten wir uns gerade wirklich auf anderes konzentrieren.
Sehen Sie die beiden Gestalten dort am Ufer?

Weitere Kostenlose Bücher