Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
ehemaliger Bankberater kannte sich nicht gut mit Wein
aus. Das vertraute er mir einmal mitten im Gespräch über etwas vollkommen
anderes an. »Ich kenne mich ohnehin wenig aus«, sagte er. »Und wenn ich mich
mal auskenne, kann man das meistens nicht trinken«, sagte er. »Eigentlich nie«,
sagte er, und dann setzte er das Gespräch über das vollkommen Andere
fort. Er hatte dazu noch etwas zu sagen.
Sehr geehrter Herr Willis,
nur vierundzwanzig Stunden, nur einen einzigen Tag, das sind Sie mir schuldig. Und länger
brauchen wir hoffentlich nicht, um das Chaos zu beseitigen, das Sie hier
angerichtet haben. Ja, Sie. Da müssen Sie mich jetzt gar nicht so überrascht
anschauen. Wenn Sie sich so eigensinnig weigern, gerettet zu werden, muss ein
ganz neues glückliches Ende her. Da sind vierundzwanzig Stunden nicht besonders
großzügig berechnet.
Holen Sie uns bitte erst mal irgendwie von diesem See runter. Und
beeilen Sie sich etwas, die Taucher sind schon längst im Wasser, die kommen
schon auf uns zu, die können ja nicht wissen, dass sich unsere Pläne geändert
haben.
Es wäre jedenfalls wirklich schön, wenn zumindest das nicht wieder
an mir hängen bliebe. Ich habe gerade wirklich weder Lust noch Zeit, mich damit
auseinanderzusetzen. Ich habe anderes zu tun (zerbissene Knirscherschiene
ersetzen lassen, Ehe retten, Roman neu konzipieren). Noch sind wir schließlich
ein Team, Herr Willis, vierundzwanzig Stunden lang sind wir das noch.
Ihr
Tilman Rammstedt
Er frage sich manchmal, sagte mein ehemaliger Bankberater, als
wir gemeinsam im Zoo waren, ob er wohl ein gutes Zebra geworden wäre.
»Wahrscheinlich nicht«, beschloss er. »Wahrscheinlich sind noch nicht einmal Zebras
gut darin, Zebras zu sein.«
Sehr geehrter Herr Willis,
bitte verzeihen Sie, dass ich mich jetzt erst melde. Es
war ein langer Tag (Auseinandersetzungen mit meiner angeblichen Frau,
Auseinandersetzungen mit meinem angeblichen Verlag, Auseinandersetzungen mit
meinem angeblichen Leben), da bin ich zu wenig anderem gekommen.
Aber Sie haben ja selbst auch genug zu tun. Kommen zumindest Sie gut
voran? Sind wir die Polizeitaucher losgeworden? Sind wir schon vom See runter?
Und was ist mit dem Hund? Haben wir den angemessen würdevoll beerdigt? Und wie
ist es um unseren Hunger bestellt?
Schreiben Sie mir das doch bitte, Herr Willis, wenn Sie
zwischendurch eine Minute haben. Nur wenn Sie wollen. Heute will ich niemanden
mehr zu irgendwas überreden. Das gelingt ohnehin nicht.
Ich hätte jetzt gerade jedenfalls Zeit, mir Ihre Antworten
durchzulesen. Ich sitze in einem Internetcafé. Wahrscheinlich noch eine ganze
Weile, mindestens die Nacht über,
vielleicht länger. Es gibt Kaffee für sechzig Cent, der gar nicht mal so
schlecht schmeckt, und schon seit Stunden fallen mir keine Websites mehr ein,
die ich noch besuchen könnte. Ich google immer abwechselnd meinen Namen und
Ihren. Sie haben fast genau zweitausendmal so viele Einträge wie ich. Ist das
nicht ein interessanter Zufall, Herr Willis?
Mir gefällt die Vorstellung, Sie dort am anderen Ende dieser Mail zu
wissen. Mir gefällt auch die Vorstellung, dass Sie womöglich gerade genauso
verloren auf den Bildschirm starren wie ich, dass sich unsere Blicke irgendwo in
der Mitte treffen. Wahrscheinlich verenden sie aber kurz vorher, es fehlen nur
ein paar Zentimeter. Es fehlen immer nur ein paar Zentimeter. Manchmal macht
das Hoffnung, weil es doch eine lächerlich kleine Distanz ist, und manchmal
macht es genau das so schlimm. Dass alles erreichbar scheint, aber sich nichts
wirklich trifft.
Verzeihen Sie, ich schreibe Unsinn. Mir geht es gerade nicht
besonders gut (Hier, Jetzt, Alles). Und ich habe ein wenig getrunken (Bier, Wodka,
Sechzig-Cent-Kaffee). Haben Sie auch etwas getrunken, Herr Willis? Hilft es bei
Ihnen? Bei mir hilft es nicht. Aber es muss ja auch nicht immer alles helfen.
Ihr
Tilman Rammstedt
Er solle mich schön von seiner Mutter grüßen, sagte mein
ehemaliger Bankberater. »Unbekannterweise«, sagte er und fragte, ob meine
Mutter ihn auch manchmal grüßen lasse. Ich belog meinen ehemaligen Bankberater
nicht gerne, diesmal aber schon.
Sehr geehrter Herr Willis,
ich hoffe, Ihre Nacht war etwas geruhsamer als meine (Streit
mit dem Internetcafébesitzer, Streit um eine Parkbank, Streit mit einer
Parkbank). Ich bin in der Morgendämmerung spazieren gegangen. Leere Straßen,
ein paar Taxis, Zeitungsboten, und
für einen kurzen Moment kam mir alles auf einmal sehr weit weg
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