Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
fallen ließ.
Ich ging zurück zur Bushaltestelle. Sie standen unverändert da, den
Blick zu Boden gerichtet. »Okay, wir können«, sagte ich.
Ihr
Tilman Rammstedt
Ob ich mal was Interessantes hören wolle, fragte mich mein
ehemaliger Bankberater auf unserer Fahrradtour im Juni. »Ja«, sagte ich. »Ich
auch«, sagte er. Dann radelten wir weiter, mein ehemaliger Bankberater, die Hoffnung
und ich.
Sehr geehrter Herr Willis,
irgendwo hinter uns die Polizei, irgendwo vor uns die
ablaufende Zeit, und wir kommen kaum von der Stelle. Bei jedem Schritt stützen
Sie sich mit dem gesunden Arm auf dem gesunden Bein ab, ziehen das verletzte
mühsam nach, und erst nach ein paar Sekunden Pause ist dann an den nächsten
Schritt zu denken. Der Himmel klart auf, sonst nicht viel.
Ich würde Ihnen ja gern helfen, aber ich brauche beide Arme, um den
toten Hund zu tragen. Als ich mich nach einer Viertelstunde zum ersten Mal
umschaue, ist die Bushaltestelle kaum kleiner geworden, und es tröstet nur wenig,
dass wir ohnehin nicht wissen, wohin genau wir gehen sollen. Ich habe nicht die
leiseste Ahnung, wo in dieser Stadt die Gefängnisse sind, mit so etwas habe ich
mich noch nie auseinandergesetzt. Und schon gar nicht weiß ich, in welchem
davon sich mein Bankberater befindet, auf der Krankenstation neben Rico, der
das mit dem Fingerknacken immer noch nicht gelernt hat und vielleicht auch
deshalb auf alle Fragen meines Bankberaters nur mit der Aufforderung antwortet,
er solle sich ins Knie ficken.
Wir müssen dringend etwas essen, Herr Willis. Wir müssen dringend
etwas trinken, dringend müssen wir jemanden nach dem Weg fragen, aber alles ist
ausgestorben, nichts als lang
gezogene Containerbauten, Firmenschilder für Unternehmen, deren Aufgaben mir
schleierhaft sind, wochenendverwaiste Parkplätze. Vielleicht hätte ich das
Telefon nicht so voreilig wegwerfen sollen, dann hätten wir uns zumindest eine
Pizza bestellen können oder noch besser einen möglichst zwielichtigen
Taxifahrer, der für eine Handvoll durchweichter Geldscheine keine unnötigen Fragen
stellt, aber dafür ist es nun zu spät.
»Es ist bestimmt nicht mehr weit«, sage ich, um zu sehen, ob ich es
mir vielleicht sogar selbst glaube.
»Okay«, sagen Sie.
»Wie geht es Ihrem Arm?«, frage ich.
»Okay«, sagen Sie.
»Und dem Bein?«, frage ich.
»Okay«, sagen Sie.
»Ich wette, es ist nicht mehr weit«, sage ich.
»Okay«, sagen Sie.
Dann sage ich erst einmal nichts mehr, und auch das finden Sie
wahrscheinlich okay. Sie sind ohnehin sehr genügsam seit Ihrem vergeblichen
Telefonat, vielleicht auch einfach nur resigniert. Aber während wir hier mühsam
Meter für Meter zurücklegen, um zumindest die nächste Straßenkreuzung zu
erreichen, fühle ich mich Ihnen auf einmal sehr nah, sehr verbunden.
»Danke, dass Sie mir noch vierundzwanzig Stunden gegeben haben«,
sage ich.
»Okay«, sagen Sie.
»Dieses glückliche Ende ist mir wirklich sehr wichtig«, sage ich.
»Okay«, sagen Sie.
»Ehrlich gesagt, läuft es bei mir nämlich sonst gerade nicht
besonders gut«, sage ich.
»Okay«, sagen Sie.
»Ich habe ein wenig den Überblick darüber verloren, was genau nicht
besonders gut läuft«, sage ich.
»Okay«, sagen Sie.
»Ich fürchte, alles. Alles läuft nicht besonders gut. Und über alles
verliert man leicht den Überblick«, sage ich.
»Okay«, sagen Sie.
Wir erreichen die Kreuzung, biegen rechts ab, um nicht die
Straßenseite wechseln zu müssen, und ein wenig bin ich erleichtert darüber, dass
sich nach dem Abbiegen nichts ändert. Immer noch alles menschenleer, immer noch
kein Ziel in Sicht, und gerade kann ich auch darauf verzichten. Ich will gerne
einfach weiterlaufen und mich mit Ihnen unterhalten, als wäre das hier ein sehr
langsamer Spaziergang, als wäre alles ein sehr langsamer Spaziergang.
»Wie läuft es bei Ihnen denn so?«, frage ich.
»Okay.«
»Freuen Sie sich auf zu Hause?«, frage ich.
»Okay.«
»Das ist schön«, sage ich. »Es ist schön, sich auf etwas zu freuen.«
»Okay.«
»Sie sind bestimmt auch froh, mich dann endlich los zu sein«, sage
ich.
Sie schweigen.
»Sie werden mich bestimmt nicht vermissen«, sage ich.
Sie schweigen weiter.
»Ich Sie bestimmt auch nicht«, sage ich.
»Okay«, sagen Sie.
Die Mittagssonne bricht durch die Wolken. Ich lege mir den Hund über
die andere Schulter. Es ist fast vollkommen still, nur unsere schlurfenden
Schritte, unsere grummelnden Mägen.
»Darf ich Sie mal was
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