Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
ein wenig zu glauben.
Erst hier im Auto merke ich, wie stark der Hund mittlerweile riecht,
und nicht nur nach nassem Fell, das kann auch der Duftbaum am Rückspiegel nicht
überdecken. Im Spiegel immer wieder die verunsicherten Blicke der Frau. »Wie
heißt er denn«, fragt sie, wohl um etwas Normalität vorzutäuschen. »Bruce«,
sage ich. Es tut mir leid, Herr Willis, ein anderer Name fällt mir auf die
Schnelle nicht ein. »Ein schöner Name«, sagt die Frau, und sie sagt es sehr
langsam.
Erst als wir schon fast am Ziel sind, traut sie sich, mich
noch einmal anzusprechen. Was denn mit Ihnen passiert sei. »Mit Ihrem Freund«,
sagt sie. Ich blicke zu Ihnen hinüber, als gäbe es dort nichts Auffälliges zu
sehen. Unnatürlich verbogen sitzen Sie da, nur der Anschnallgurt hält Sie noch
halbwegs aufrecht, Ihr Gesicht presst sich an die Scheibe, Sie atmen flach.
»Ist gestern Abend etwas spät geworden«, sage ich und lege meine Hand auf Ihre
Schulter, wir hätten einen langen Tag hinter uns. »Ach so«, sagt die Frau. Sie
würde es gern auf sich beruhen lassen, sie will nicht weiter nachbohren, kann
aber nicht anders. Das sei doch aber Blut dort an Ihrem Arm, sagt sie, Sie
seien doch augenscheinlich verletzt, und ich befühle Ihren Ärmel, rieche daran.
»Tatsächlich«, sage ich überrascht. »Blut.« Aber es bestehe kein Grund zur
Sorge. Sie hätten nun einmal einen Hang zum Dramatisieren, das dürfe man nicht zu
ernst nehmen. »Er ist Schauspieler«, flüstere ich, als müsse sie dafür
Verständnis haben.
»An der Ampel links«, sage ich dann beiläufig und wende mich wieder
dem Hund zu. Ich streiche ihm über den Kopf, drücke meinen Mund auf sein Ohr.
»Keine Sorge«, flüstere ich. »Keine Sorge, wir sind bald da.« Ich flüstere es
so laut, dass auch Sie es noch hören könnten. Doch Sie schlafen fest.
Ihr
Tilman Rammstedt
Ein paar Wochen lang ließ sich mein ehemaliger Bankberater
einen Bart stehen, dann rasierte er ihn wieder ab. »Wir haben einfach nicht
zueinander gepasst«, erklärte er mir und strich über seine Wange, als wäre
alles schon überstanden.
Sehr geehrter Herr Willis,
da ist es also, das Gefängnis. Unschuldig steht es
zwischen Wohnhäusern und Geschäften, ich sehe eine Apotheke, ich sehe ein
Mobilfunkgeschäft, einen Bäcker, etwas weiter die Straße hinunter sogar einen Spielplatz. Auf den ersten
Blick könnte das Gefängnis auch als Finanzamt durchgehen, als Krankenhaus, als
geheimnistuerische Forschungseinrichtung. Erst auf den zweiten Blick erkennt man
die Dicke der verdunkelten Fensterscheiben, man erkennt die Kameras, die
Scheinwerfer, den humorlosen Stahl der Tore, all das Undurchdringliche, das
entschlossen Hermetische. Da müssen wir also rein, Herr Willis. Und dann müssen
wir auch wieder raus.
Ihnen scheint der kurze Schlaf im Auto gutgetan zu haben. Vielleicht
wirken auch schon die sechs Aspirin, die mir die Frau zum Abschied noch in die
Hand drückte, angeblich für den Hund. »Gute Besserung«, hat sie gesagt und
leise »Ihnen allen dreien« hinzugefügt. Und am liebsten hätte ich sie umarmt,
am liebsten hätte ich sie gefragt, ob sie uns nicht in den verbleibenden Stunden
Gesellschaft leisten wolle, aber noch bevor ich überlegen konnte, ob es
wirklich eine gute Idee wäre, jetzt noch eine neue Figur einzuführen, war sie
schon weggefahren, und ich konnte das gut verstehen.
Sie haben die Aspirin eine nach der anderen mit Rum runtergespült, und
jetzt sitzen wir nebeneinander auf dem kleinen Grünstreifen schräg gegenüber
vom Gefängnis und schauen auf die Mauern, hinter denen mein Bankberater in
seinem Pflegebett liegt und nichts davon ahnt, wie nah wir ihm sind.
Ich bilde mir ein zu wissen, welches Fenster zur Krankenstation
gehört. Kurz winke ich, auch wenn wir wahrscheinlich zu weit entfernt sind und
es außerdem Ricos Bett ist, das am Fenster steht. Im Halbschlaf hat er uns vielleicht
gesehen, zwei verschwommene Flecken auf grünem Hintergrund, dann hat er sich
abgewendet und mit den Fingerknochen geknackt. Seit er das endlich gelernt hat,
interessiert er sich für wenig anderes.
Wir sind fast am Ziel, Herr Willis. Wir können das Ziel schon sehen. Und Sie müssen gar nicht
erst »Und was jetzt?« fragen, um mich daran zu erinnern, wie wenig es manchmal
nützt, ein Ziel schon zu sehen. Aber wie ich Sie kenne, fragen Sie es trotzdem.
Wie ich Sie kenne, können Sie es sich einfach nicht verkneifen. Also los, Herr
Willis, fragen Sie schon.
Ihr
Tilman
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