Der Auftrag meines Lebens Bd.2
Der Auftrag meines Lebens
Teil 2
Nik S. Martin
E s dämmert bereits, als Maurice anhält, um den Wagen aufzutanken. Wir haben kaum gesprochen. Immer wieder bin ich eingeschlafen, nur um mich beim Aufwachen noch mehr erschlagen zu fühlen. Wo genau wir sind, weiß ich gar nicht. Im Augenblick ist es mir auch egal. Ich will nur, dass diese bleierne Müdigkeit verschwindet.
Maurice klopft an meine Scheibe und ich zucke zusammen. Er hält mir zwei Pappbecher vor die Nase. Ich drücke den Knopf und das Fenster gleitet leise summend hinunter.
„Kaffee?“
„Gern“, erwidere ich und nehme ihm die Becher ab. Mir fallen fast die Au gen zu, als ich an dem heißen Gebräu nippe. Mit dem Geschmack des Kaffees auf der Zunge weitet sich mein Blick. Mann, ich hab gar nicht gewusst, wie gut Kaffee schmecken kann! Das Aroma steigt mir in die Nase, der Geschmack explodiert fast in meinem Mund. Plötzlich wird meine Aufmerksamkeit auf etwas gezogen, was sich außerhalb des Wagens befindet. Durch das geöffnete Fenster weh t mir ein Duft entgegen, der mir den Hals innerhalb eines Sekundenbruchteils nicht nur sprichwörtlich austrocknen lässt. Ich sehe mich um, suche den Ursprung des Geruchs. Dann sehe ich sie. Eine Blondine, die vermutlich gerade aus dem Shop der Tankstelle getreten ist. Sie bindet ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, der Hals liegt völlig frei. Sie ist bestimmt zehn Meter von mir entfernt, aber ich sehe das verlockende Blut, das durch ihre Halsschlagader fließt. Maurice taucht in meinem Blickfeld auf, er sieht mich finster an.
„Denk nicht mal dran! Schließ das Fenster“, verlangt er in einem harschen Ton.
Ich schlucke krampfhaft und nicke. Meine Hand zittert, doch ich schließe das Fenster. Abrupt verschwindet der verlockende Geruch, wird vom Aroma des Kaffees verdrängt. Ich seufze und lasse mich ins Polster sinken. Das also hat er gemeint, als er sagte, ich müsste lernen, mich zu kontrollieren. Ich ahne, dass genau das nicht leicht wird.
Schweigend fahren wir weiter. Es ist mir ganz recht, dass Maurice nichts sagt, so kann ich meinen eigenen Gedanken nachhängen. Hat er das mit den Kaffeebechern extra gemacht? Mir kommt es so vor, schließlich muss er gewusst haben, dass wir auf dem Gelände der Tankstelle nicht allein gewesen sind. Hat er damit provoziert, meinen Durst zu wecken, der noch immer da ist? Mein Mund ist trocken und ich überlege, was passiert wäre, hätte Maurice mich nicht aufgefordert, das Fenster zu schließen.
„Willst du wissen, was geschehen wäre?“, fragt er mich.
„Du liest immer noch meine Gedanken!“ Mürrisch sah ich ihn an.
„Naja, du schreist beinahe in meinem Kopf … also, was ist jetzt?“
Ich seufze. „Ich sollte es wissen, stimmt’s?“
„Ja. Mal angenommen, du wärest allein gewesen. Du hättest vor Gier nichts anderes mehr wahrgenommen, als das pulsierende Blut in der jungen Frau. Der Gedanke, deine Fänge in ihr zu versenken, zu trinken, wäre so beherrschend gewesen, dass du es getan hättest. Egal, ob dich jemand dabei beobachten würde. Wahrscheinlich hättest du nicht mal rechtzeitig aufhören können …“
Ungläubig sehe ich ihn an. „Du glaubst , ich hätte sie umgebracht ?“
„Ja – du wärest nicht der erste, dem das passiert. Und deshalb musst du lernen.“
„Es war ein Test“, stell e ich verärgert fest.
„Richtig. Ich wollte sehen, wie du auf den Duft reagierst.“
„Hart, aber ich kann‘s dir nicht verübeln“, erwidere ich und bringe ein halbes Lächeln zustande.
Inzwischen ist es stockdunkel, und als Maurice endlich ein Hotel ansteuert, brennt mir der Hals. Er muss doch wissen, wie durstig ich bin! Dass er dennoch so lange gefahren ist, verstimmt mich. Ich komme mir vor, als wäre die Sahara in meinem Rachen eingezogen, nicht einmal reden kann ich. Kein Tropfen Spucke ist mehr in meinem Mund und ich kann an nichts anderes mehr denken, als Maurice den blöden Hemdkragen zu öffnen und endlich meine Zähne in seiner Vene zu versenken. Wie ferngesteuert tappe ich ihm an die Rezeption hinterher, werde erschlagen von den Gerüchen, die mich in der Hotelhalle erwarten. Um denen aus dem Weg zu gehen, atme ich durch den Mund, spüre jeden Atemzug wie Schmirgelpapier in meinem Hals. Ich sehe die pochenden Schlagadern der Empfangsdame und zwinge mich, den Blick auf den Boden zu heften. Was Maurice zu der Frau sagt, höre ich nicht. In meinen Ohren rauscht es. Meine Hände stecken zu Fäusten geballt
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