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Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Titel: Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Rammstedt
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heben. »Hast du die Polizei
gerufen?«, frage ich, und er zögert etwas, nickt noch einmal, zu verängstigt,
um mich anzulügen. Ich schaue ihn müde an, seine nässenden Augen, seine unreine
Haut, den missglückten Haarschnitt. Ich packe ihn am Kragen des Polohemds und
ziehe seinen Kopf zu mir heran. »Hör gut zu«, sage ich und bin froh darüber,
wie sehr meine Stimme bebt, wie mühsam nur ich meine Wut unterdrücken kann.
Dass er keine Ahnung habe, was wir schon hinter uns hätten, sage ich. Dass er
keine Ahnung habe, was wir noch vor uns hätten. Und dass ich mir das nicht von
einem mickrigen Komparsen versauen lassen wolle. »Wie heißt du?«, frage ich,
und bevor er antworten kann, sage ich, dass mich das nicht im Geringsten
interessiere, dass er mich nicht im Geringsten interessiere. Dass er nur dazu
da sei, mir diesen beschissenen Stadtplan zu verkaufen und mir zu zeigen, wo in
Gottes Namen wir uns befänden. Und dann könne er verschwinden und weiter seine
Online-Rollenspiele spielen oder seine Bierglas-Sammlung betrachten oder mit
was auch immer er seine traurigen Tage verbringe.
    »Ich frage dich jetzt noch einmal«, sage ich. »Hast du die Polizei
gerufen?« Er kommt den Tränen immer näher, seine Oberlippe zittert. »Nein«,
flüstert er, und ich lächele, wie
Sie manchmal lächeln, Herr Willis, dieses bedrohliche Lächeln, das Ihnen
keiner so schnell nachmacht. »Gut«, sage ich und lasse seinen Kragen los. Ich
nehme mir einen Schokoladenriegel aus dem Regal unter der Kasse, reiße das
Papier ab und beiße hinein, ohne ihn zu bezahlen. Ich habe gar keine Lust auf
einen Schokoladenriegel, er soll nur meine Entschlossenheit unterstreichen. Ich
kaue langsam, die Schokolade verklebt meinen Gaumen. »Gut«, sage ich dann noch
einmal, aber das klingt mit vollem Mund nicht mehr ganz so bedrohlich.
    Als ich wieder zu Ihnen an die Zapfsäulen komme, sind Sie mit Ihrem
Rosinenbrötchen immer noch nicht fertig. Dem Stadtplan, den ich vor Ihnen
ausbreite, schenken Sie kaum Aufmerksamkeit. »Also«, sage ich, »wir sind hier«,
und zeige auf einen Punkt in der linken oberen Ecke der Karte. Ich hätte das
lieber bedeutungsschwerer gesagt. Ich hätte Ihnen dabei lieber in die Augen
geschaut und gemeinsam mit Ihnen gespürt, dass wir ja tatsächlich hier sind, im
Hier und Jetzt, aber dafür ist es jetzt zu spät. Wir haben keine Zeit, die
Szene zu wiederholen. Ich schaue auf die Karte, ich sehe unseren Wald, ich sehe
unseren See, ganz friedlich und glatt liegt er da. Wenn man nicht ganz genau
hinschaut, sieht man sogar unser Boot. Ich sehe die langen geraden Straßen rund
um meinen linken Zeigefinger, mit dem rechten streife ich über die Planquadrate,
bis er endlich fündig wird. »Justizvollzugsanstalt«, lese ich und nicke Ihnen
zu. »Das ist nicht so weit, wie es aussieht«, sage ich, auch wenn ich weiß,
dass es sogar noch viel weiter
ist. Sie blinzeln nur kurz. »Also los«, sage ich und versuche die Karte
zusammenzufalten, was natürlich nicht gelingt. Aber auch das können wir nicht wiederholen.
Es gibt immer nur einen Versuch.
    Ich stehe auf und werfe mir den Hund über die Schulter. »Kommen
Sie«, sage ich. Sie rühren sich nicht von der Stelle, schauen mich nur müde an
und schütteln unendlich langsam den Kopf. Dass Sie keinen Schritt mehr machen
können, würden Sie sagen, wenn Sie noch sprechen könnten. Dass alles wehtut,
würden Sie sagen. Dass Sie Ihr verletztes Bein nicht mehr spüren und Ihren
verletzten Arm viel zu sehr. Dass es Ihnen leidtue, würden Sie sagen, aber die
verbleibenden knapp achtzehn Stunden müssten Sie hier einfach sitzen bleiben,
es gehe nicht anders. Es tue Ihnen wirklich aufrichtig leid. »Glauben Sie mir
das?«, würden Sie fragen.
    Ja, Herr Willis, ich glaube Ihnen. Das tue ich wirklich. Aber ich
kann es leider nicht akzeptieren. Sie sitzen da, ganz Häuflein, ganz Elend, und
halten sich noch immer an Ihrem Rosinenbrötchen fest, halten sich noch immer am
Machbaren fest, als wüssten Sie nicht, dass uns das Machbare noch nie
weitergebracht hat. Ich bleibe nicht hier, nicht an dieser Tankstelle. Auf
keinen Fall. Sie müssen endlich lernen, zwischen Etappe und Ziel zu
unterscheiden, Herr Willis. Ich lasse den Hund fallen und versuche stattdessen
Sie hochzuheben, Sie mir irgendwie über die Schulter zu werfen. »Lassen Sie
das«, würden Sie sagen, wenn Sie noch sprechen könnten. Ihr unwilliger,
ängstlicher Blick, und keinen verdammten Zentimeter weit bekomme ich Sie

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