Abenteurer sucht Frau fürs Leben
sehnsüchtig. „Aber einige Leute haben mir von den wundervollen Farben und der Atmosphäre erzählt. Ich wollte immer mal hin. Vielleicht klappt es ja eines Tages.“ Sie zuckte die Schultern. „Wie ich sehe, haben Sie sich in den Bergen aufgehalten. Waren Sie wandern oder klettern?“
Ihr Blick war genauso aufmerksam wie seiner. Doch die Wahrheit war wesentlich komplizierter, denn er hätte sich liebend gerne genau solchen Dingen gewidmet. „Weder noch. Wie kommen Sie darauf, dass ich in den Bergen war?“
Sie grinste. „Mir ist aufgefallen, dass Sie einen weißen Buddhistenschal um den Hals und Hindi-Kritzeleien auf dem Arm tragen.“
Kyle blickte zu dem Gipsverband an seinem linken Handgelenk, der über und über mit farbenfrohen Botschaften bedeckt war. „Sie sprechen Nepalesisch?“, fragte er mit aufrichtiger Bewunderung in der Stimme.
„Nein, aber ich erkenne die Hindi-Schriftzeichen.“ Sie hielt abwehrend eine Hand hoch. „Und ich brauche keine Übersetzung, wenn es Ihnen recht ist.“
„Das ist mir sogar lieber! Einige der Sprüche sind recht derb.“ Er reichte ihr die rechte Hand. „Ich bin übrigens Kyle.“
Die Blondine zögerte einen Moment, bevor sie mit kalten zierlichen Fingern seine Hand flüchtig, aber fest drückte. Seine Fingerspitzen wirkten rau im Vergleich zu ihrer zarten Haut. Vielleicht zuckte sie deswegen sofort zurück und begann, in ihrer Kuriertasche zu suchen. „Ich könnte Ihnen meinen Namen nennen“, bemerkte sie, „aber ich bin in einer sehr wichtigen Mission unterwegs, bei der Geheimhaltung lebenswichtig ist. Derart persönliche Informationen sind nur berechtigten Personen vorbehalten.“ Sie hielt ihm einen ganzen Haufen Münzen hin. „Das dürfte für meinen Anteil an den Fahrtkosten reichen.“
Verblüfft nahm er das Geld entgegen und fragte sich dabei unwillkürlich, ob die Taxitarife während seiner Abwesenheit ebenso drastisch gestiegen waren wie die weibliche Unverfrorenheit. „Ihre Mission führt Sie zu einer Kunstgalerie? Aha, ich verstehe. Das traditionelle Fälscherhandwerk.“ Er tippte sich zwei Mal auf die geschlossenen Lippen. „Ihr Geheimnis ist bei mir in Sicherheit. Und wofür sind Sie spät dran?“
„Ich muss das hier abliefern und dann einen Zwölfuhrtermin schaffen.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Ich liege gut in der Zeit. Was ist mit Ihnen, Kyle? Zu was kommen Sie zu spät? Oh, sorry – ein andermal. Hier ist schon die Galerie.“ Das Taxi hielt vor einem eleganten Gebäude mit gläserner Front. „Es war mir ein Vergnügen, und nochmals danke. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr aufgehalten.“
„Warten Sie.“ Er schob ihr das Paket zu. „Eine Frage. Bitte, ich muss es wissen. Sind Sie zufällig Bibliothekarin?“
Sie blickte ihn mit großen Augen an. Dann erschien ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht.
Ihr Lächeln – es könnte den Straßenverkehr zum Stillstand bringen und verwandelt eine blond gelockte Bibliothekarin in ein Supermodel, schoss es ihm durch den Kopf.
„Nicht mal im Entferntesten“, entgegnete sie. Und damit schloss sie die Taxitür, winkte ihm majestätisch zu und ging ohne einen Blick zurück davon.
Lili Hamilton schlenderte so lässig über die breite Promenade am Südufer, wie die taubengrauen High Heels ihrer Patentante Emma es zuließen. Als ein heller Sonnenstrahl durch die Wolkendecke brach, legte sie den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, um den Moment zu genießen.
Die riskante Entscheidung, sich ein Taxi mit einem vorlauten, wenn auch umwerfend gut aussehenden Touristen zu teilen, hatte sich bezahlt gemacht. Ihr Auftrag war prompt erledigt. Sie hatte das Acrylgemälde Gelbe Orchidee , das für die grandiose Eröffnungsfeier einer luxuriösen Boutique in der City gedacht war, unversehrt und rechtzeitig in der Galerie abgeliefert.
Dafür hatte Lili einen Extrabonus erhalten. Wenn sie sparsam lebte, reichte der Scheck in ihrer Tasche, um die ersten Monate in der Kunstakademie zu überbrücken. Ihr Traum war gerade ein großes Stück näher gerückt.
Es war ein kühler Vormittag Ende Oktober. Sie atmete tief ein und sog den Anblick und die Gerüche der City in sich auf. Vor zehn Jahren hatte sie hier in London studiert, bis sie nach dem Tod ihrer Mutter in ihr Heimatdorf zurückgekehrt war, um sich um ihren Vater zu kümmern. Sie kam nur selten in die City zurück, denn es schmerzte zu sehr, daran zu denken, was hätte sein können.
Eigentlich ist das doch Schnee von
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