Abenteurer sucht Frau fürs Leben
einem kurzen Zögern gab er zu: „Die Arbeit an sich ist dieselbe, ob in London oder in Nepal, aber die Menschen vermisse ich wirklich. Sie sind einzigartig.“
Langsam drehte sie sich zu ihm um. Sie stand ihm ganz nahe, fühlte sich sehr verbunden mit ihm und ahnte, dass sein Herz im Einklang mit ihrem eigenen schlug.
Er hob eine Hand und streichelte ihre Wange. „Sie feiern Neuanfänge geradezu ausgelassen. Du hast also einen sehr günstigen Tag für die Feier zu Ehren des Geburtstagskindes ausgesucht!“
„Und was ist mit dir ? Willst du einen Neuanfang?“ Gespannt wartete Lili auf seine Antwort.
„Vielleicht. Möglicherweise wollen wir das alle.“ Er zog ihre Hand an die Lippen und hielt ihren Blick gefangen. „Möchtest du einen letzten Tanz, hübsches Mädchen?“
Sie lehnte sich an seine breite Brust, schlang ihm die Arme um den Nacken und schloss die Augen. Sie brauchte nichts zu sehen. Sie wollte nur seinen betörenden Duft riechen und seine streichelnde Hand auf ihrer nackten Taille spüren. Währenddessen wiegte sie sich zur Musik, die aus dem Wohnzimmer drang.
Nach einer Weile wich Kyle zurück, fasste ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren.
Sie öffnete die Augen, nahm all ihren Mut zusammen und fragte ihn: „Kannst du noch ein bisschen bei mir bleiben?“
„Ich gehe heute Nacht nirgendwo mehr hin, aber da ist etwas, das ich dir sagen muss. Es kann nicht bis morgen warten“, erklärte er mit rauer Stimme. Dann führte er sie ins Esszimmer.
Sie legte einen Arm um ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter. „Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht. Worum geht es?“
Er drehte sich zu ihr um. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass es nichts Gutes war, was er ihr zu sagen hatte. Die Atmosphäre zwischen ihnen wurde plötzlich kalt.
„Bitte, Kyle, ich möchte wissen, was los ist.“
Er nickte. „Ich habe beschlossen, vorzeitig abzureisen. Ich werde morgen früh aufbrechen.“
Lili starrte durch die Terrassentür in den Garten. Die Bäume wiegten sich sanft, was in krassem Gegensatz zum Aufruhr stand, der in ihr tobte. Sie fühlte sich wie in einem Albtraum aus ihrer Kindheit – auf ein Karussellpferd geschnallt, das sich schneller und schneller drehte, bis sie sich in Todesangst verzweifelt daran festklammerte.
Er will mich verlassen!? Genau wie meine Mum und dann mein Dad!?
Sie hatte von Anfang an gewusst, dass zwischen ihnen nur ein vorübergehendes Abkommen bestand. Bloß für ein paar Wochen ihres Lebens. Es hätte nicht so schwer sein dürfen, Abschied zu nehmen, und dennoch wünschte sie sich so sehr, dass er blieb.
Schweigend drückte Kyle sie an sich, Schenkel an Schenkel, Hüfte an Hüfte, Brust an Brust. Sie sehnte sich danach, den Kopf wieder an seine Schulter zu lehnen, aber diesmal widerstand sie dem Drang.
Sie blickte ihm ins Gesicht. Das Braun seiner Augen wirkte warm im sanften Lampenlicht, doch in diesem Moment sah sie etwas Neues darin. Er musterte sie forschend – wie auf der Suche nach einer Antwort auf eine Frage, die er selbst nicht in Worte fassen konnte. Unsicherheit, Sorge, vielleicht sogar Bedauern – all das sah sie auf seinem Gesicht, dessen Konturen vom flackernden Feuerschein betont wurden. Leidet er etwa genauso wie ich?
Er drückte ihre Hand ganz fest und holte tief Luft. Dann sagte er leise und rau mit unsicherer Stimme: „Ich habe noch eine letzte Bitte. Ich möchte, dass du die letzten Seiten meines Tagebuchs liest, bevor ich gehe.“
Er hob eine Hand und strich ihr sanft eine Locke hinters Ohr. Die Geste wirkte so zärtlich und liebevoll, dass Lili entzückt die Augen schloss.
„Es wird dir nicht leichtfallen. Die Handschrift ist noch schlimmer als gewöhnlich, weil ich auf der Ladefläche eines uralten Lastwagens geschrieben habe. Damit wurden wir nämlich aus der Feldklinik evakuiert. Zum ersten Mal seit Tagen konnte ich sitzen, und irgendwie hatte ich den Drang, das Chaos zu verarbeiten, das nach Ruths Tod herrschte.“
Lilis Herz begann zu pochen. Sie ahnte, dass er versuchte, ihr die Wahrheit schonend beizubringen. „Willst du mir sagen, dass du sie kurz vor ihrem Tod gesehen hast?“
Er nickte. „Ich war wahrscheinlich die letzte Person, die sie lebend gesehen hat.“
„Dann will ich nicht aus deinem Blog oder diesem neuen Buch erfahren, was passiert ist. Ich will, dass du es mir selbst sagst, und zwar jetzt. Mir direkt ins Gesicht. Du bist der Einzige, der mir die Wahrheit sagen kann. Was ist passiert,
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