Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
Rückflug ist bereits gebucht. Zwei Tage, und ich bin wieder bei euch und unterzeichne den ganzen Kladderadatsch. Einen guten Bardolino bring ich auch mit, dann können wir feiern. Los, Freunde. Go on. «
»Ich kann ihn verstehen«, hatte Giuseppe gesagt, nachdem Donato im Taxi verschwunden war. »Sein Boot ist schon vor langer Zeit gesunken. Aber bleiben und warten, dass man ertrinkt? Lieber nicht. Ich kann ihn verstehen.«
Rashid hat sich in seinen üblichen Winkel verkrochen, die Augen zusammengekniffen, die Hände in der Tasche. Cardellini nimmt eine Schmerztablette und achtet darauf, dass alle es sehen. Giuseppe hängt wie ein nasser Sack auf seinem Stuhl und zieht mit einem großen Seufzer die Luft ein, die nach Gewitter riecht. Tiziano hat mir anvertraut, dass die Saalchefin nicht zur Verabredung erschienen ist. Jetzt sitzt er abseits und hüllt sich in ein entwaffnendes Schweigen. Auf der anderen Tischseite lässt Boraletti Finger und Halswirbel krachen. Nathan wischt ein paar Krümel von seiner orangefarbenen Krawatte. Der Ingenieur Carugato liest zum tausendsten Mal die Anhänge mit den technischen Erläuterungen und wischt sich mit Toilettenpapier, das er aus seiner Jackentasche zieht, den Schweiß ab.
Emily.
Emily sitzt vor mir.
Wenn man mal von den Wortgefechten über Klauseln und Paragraphen absieht, haben wir seit unserem Streit nicht mehr miteinander gesprochen. Ich bin nicht zu ihr gegangen, und sie hat das registriert. Sie versteckt sich hinter ihrem Laptop, runzelt die Stirn, macht sich Notizen, beachtet mich nicht.
»Wenn alle einverstanden sind, können wir beginnen«, sagt sie und streicht sich mit der Hand über den Kopf. »Je eher wir die Sache hinter uns bringen, desto besser für uns alle.«
»Wunderbare Emily«, bestätigt Giuseppe in einem forcierten Optimismus, der die Ader an seiner linken Schläfe anschwellen lässt. »Das ist der Geist, der uns beseelen muss. Ein wilder Geist, ein kriegerischer Geist. Das Ziel ist das eine. Etwas anderes ist der Weg, der … der …« Giuseppe gerät ins Stocken. »Okay, fangen wir an. Gott sei uns gnädig.« Er sinkt wieder in sich zusammen und wischt sich einen Schweißtropfen ab.
Wir erstellen eine Liste der outstanding points . Die Bedingungen für das pre-closing und die Klausel des deadlock, reps and warranties müssen noch einmal betrachtet werden, außerdem eine ständig wachsende Zahl von anderen Artikeln, Anhängen, Dokumenten. Und dann natürlich die black ball clause .
»Ihr werdet sehen: Wenn wir Schritt für Schritt vorgehen, schaffen wir es.«
»Wir schaffen es, auf jeden Fall. Wir müssen uns nur ranhalten. Kompetent. Konzentriert. Proactive .«
»Ranhalten. Einverstanden. In aller Entschiedenheit.«
»Hat zufällig irgendjemand etwas gegen Kopfschmerzen?«
»Trink einen Campari, das hilft.«
Wenn uns ein externer Beobachter – einer, der wirklich nichts Wichtigeres zu tun hat – länger zuschauen würde, käme es ihm vermutlich so vor, als würde er einen Film in doppelter Geschwindigkeit sehen. Jähe Gesten, schnelle Worte, schrille Stimmen, unkontrollierte Ausbrüche, vorzeitiger Alterungsprozess.
Ich bleibe ruhig sitzen und verfolge die Bahn der Sonne jenseits des Fensters.
Sie taucht aus dem Meer auf. Um 11.00 blendet sie. Um 14.00 ist ihr Glanz gleichförmig gleißend. Um 17.00 verbreitet sich flüssiges Licht im Raum. Um 20.00 fragt jemand, ob man nicht mal die Lampen anschalten könne. Um 22.00 erscheint der Mond am oberen linken Fensterwinkel und verschwindet nach rechts hinaus um 00.27. Im Himmelsrechteck vor mir herrscht komplette Finsternis, als Rashid seinen Posten verlässt und sich verabschiedet.
Die Arbeit geht in meinem Zimmer weiter, wo ich die Papiere auf den neuesten Stand bringe. Ich blättere in den Notizen, die ich mir tagsüber gemacht habe. Sie wirken uralt. Als ich mich zu erinnern versuche, wann ich sie aufgeschrieben habe, ist das, als würde ich längst verdrängte Bilder wieder ausgraben. Um 3.50 trete ich auf den kleinen Balkon hinaus. Ich lehne mich an die Brüstung. Es ist stickig. Während aus dem Bad das Rauschen des Wassers, das in die Badewanne einläuft, an mein Ohr dringt, schaue ich zum Swimmingpool hinab, schaue dann aufs Meer hinaus, schaue dann zum Himmel hinauf, drehe mich ein Stück zur Seite und schaue zum Mond hinüber, der nun über der Stadt steht. Erleichtert stelle ich fest, dass keinerlei Gedanken mehr in meinem Kopf sind.
Der zweite Tag ist die identische
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