Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
ich sie unterbringen soll.«
»Was weiß ich denn, welcher Saal frei ist? Veilchen, Margeriten, Tulpen. Bringen Sie die Leute hin, wo es Ihnen passt. Haben wir einen Rosmarinsaal? Bringen Sie sie dorthin.«
»Signor Cambi, wenn Sie etwa glauben, dass Sie sich auf diese Weise beliebt machen…«
»Okay, okay, bringen Sie sie in den Margeritensaal.«
»Ich bringe sie in den Tulpensaal.«
»Hatten Sie nicht gesagt, der sei besetzt?«
»Er wird gleich leer.«
»Gott sei gelobt.«
Ich stehe auf, zupfe meine Krawatte zurecht, ziehe mein Jackett an, fahre mir mit der Hand durch die Haare, zähle, wie viele zwischen den Fingern hängen bleiben – fünf, was eine unverhoffte Reduktion um fünfzig Prozent darstellt –, schnappe mir die Akte mit dem Vorgang und gehe in den ersten Stock, wo sich die Sitzungssäle befinden. Auf der Treppe male ich mir die nächsten Stunden aus: Lektüre des Vertrags, Präzisierung der letzten Details, kleine Änderungen, das kommt hierher, das verschieben wir dorthin, Achtung, die Nummer dieses Paragraphen hier hat sich geändert, dort muss die Begründung angepasst werden, alles wird ausgedruckt, alles wird unterschrieben, Glückwunsch, Glückwunsch Ihnen, großartige Arbeit, vielen Dank, vielen Dank Ihnen, ich gehe jetzt, ich verschwinde auch, bis bald, rufen Sie mir ein Taxi?, schon erledigt, noch einmal vielen Dank. Vielleicht bin ich um acht schon daheim, nicht vielleicht, sondern sicher bin ich um acht schon daheim und unter der Dusche, und dann schaue ich mir einen Film an, nein, keinen Film, heute Abend gehe ich aus, ein Bier, oder zwei, ich entspanne mich, lenke mich ab, vergesse alles, heute Abend mutiere ich zum Zombie. Das habe ich mir verdient.
Auf einen Kaffee
»Für ein solches Kleid würde ich vor einem Mord nicht zurückschrecken.«
»Schön, nicht wahr? Ich packe es gleich aus und zeige es dir richtig. Eben erst vom Schneider abgeholt. Sonntag gehe ich zur Hochzeit meines Ex, da muss alles perfekt sein.«
»Er heiratet diese Friseuse, nicht wahr? Die, zu der du vor ein paar Jahren gegangen bist?«
»Ich gehe immer noch hin. Nach dem ersten Schock, dass sie mich betrogen haben, dachte ich, es sei doch blöd zu wechseln. Finde heute noch einmal eine gute Friseuse. Sie gibt mir sogar einen Preisnachlass, stell dir vor.«
»Das ist aber auch das Mindeste, nachdem sie dir den Mann weggenommen hat.«
»Genau das habe ich ihr auch gesagt. Am Anfang hat sie sich ziemlich angestellt.«
»Ich gehe zu Toni & Guy.«
»Kenn ich. Die sind gut, aber das Rot machen sie dir zu rot.«
5
»Es gibt da ein Problem mit Klausel dreizehn.«
»Dreizehn«, sage ich und springe auf, ohne auch nur im Mindesten zu wissen, wovon ich rede. »Stimmt. Das ist mir auch aufgefallen.«
»Ach nein, ich meine achtzehn, Entschuldigung. Es gibt da eine Inkongruenz in Klausel achtzehn.« Nach seiner Korrektur wendet sich der englische Anwalt an mich und fragt: »Und du? Was für ein Problem hast du mit Klausel dreizehn?«
Ich antworte nicht, sondern lasse mich wieder auf meinen Stuhl fallen und schaue auf die Uhr. Fast Mitternacht. Wie kann das sein? Ein paar Korrekturen hatten vorgenommen werden sollen, ein paar Präzisierungen, nichts Bedeutendes, und nun hagelt es unermüdlich neue Fragen und unerwartete Probleme, und alles muss noch einmal geprüft, gelesen, angeglichen werden.
Giuseppe sitzt neben mir. Ab und zu wirft er mir einen wütenden Blick zu. In der Überzeugung, dass alles erledigt sei, hatte er auf einen Sprung in den Sitzungssaal kommen wollen, um wichtige Hände zu schütteln und die Lorbeeren einzuheimsen. Ich würde als sein Schützling dastehen, dem er freie Hand gelassen hat, damit er etwas lernt, damit er sich amüsiert, aber Achtung!, im Hintergrund stehe ich, Giuseppe Sobreroni , der Profi, der hinter den Kulissen alles verfolgt, der Fäden zieht, Hebel in Bewegung setzt und das Ganze überwacht, denn diese jungen Leute muss man in die Welt hinausschicken, damit sie sich die Hörner abstoßen, aber man muss sie gleichwohl kontrollieren, das ist man dem Mandanten schuldig, eine moralische eher noch als eine berufliche Pflicht. Jetzt ist er still. Er spielt mit seinem Blackberry herum und sagt hin und wieder: »Ja, verdammte Scheiße.«
Die Mandanten haben sich zum Essen verabschiedet, sichtlich verärgert. Vorher hatten sie die Sache auf den Punkt gebracht: Die Dokumente müssen heute Nacht noch überarbeitet werden, keiner geht hier raus, bevor die Sache nicht
Weitere Kostenlose Bücher