Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
abgeschlossen ist, und erst wenn alles fertig ist – erst dann –, werden wir ihnen Bescheid geben, und sie werden wiederkommen und unterschreiben.
»Denken Sie daran«, hatten sie noch einmal wiederholt, » erst dann .«
»Erst dann, jawohl«, hatte Giuseppe gesagt und geschluckt.
Ich betrachte das Tablett mit der kleinen Erfrischung. Von den Häppchen, die bestellt worden waren, um den erwarteten Abschluss zu feiern, bleiben nur noch eine Pyramide Tofustäbchen und ein wenig Salzgebäck, die auf einhellige Ablehnung stoßen. Der Rest war statt eines Abendessens, das niemand zu bestellen gewagt hatte, verputzt worden. Ich schlurfe hin, während Timothy, der englische Anwalt der Gegenseite, darauf besteht, dass man den Vertrag noch einmal auf Inkongruenzen und Widersprüche hin prüft. Meine Augen sind müde, meine Gesichtszüge angespannt, mein Bauch aufgedunsen. Der Ansatz eines Buckels lastet auf meinen Schultern. Ich nehme ein Mangold-Spinat-Täschchen, wiege es in der Hand, betrachte es, drehe es hin und her. Dann zerquetsche ich es langsam. Mein Atem ist ruhig. Das Gefühl, wie zwischen meinen Fingern der Brei hindurchquillt, verleiht mir eine gewisse Leichtigkeit.
»Aber was zum Teuf…«, zische ich, als ich merke, dass Tiziano mich verblüfft anschaut. »Muss man denn, bei allem Zwang zum Sparen, wirklich ein solches Catering bestellen. Das ist ja schon Matsch, wenn man es nur anschaut. Unglaublich.«
Ich setze mich wieder hin, checke die E-Mails in meinem Blackberry, lege es auf den Tisch, werfe einen Blick auf mein Handy, sehe eine ungelesene Nachricht.
Heute Abend essen gehen mit uns? Wir treffen uns um 20.30. Melde dich.
Eine Art Nebeleffekt lässt meine Gedanken verschwimmen. Ich falle in Trance und sehe sie vor mir, ganz deutlich sehe ich sie vor mir. Just in diesem Moment blättern sie in der Dessertkarte, während der Kellner die Spezialitäten des Tages aufzählt. Ich höre sie auch sprechen.
» Ich nehme die Mousse .«
» Zwei. «
» Drei. «
» Wie oft also die Mousse? «
» Für mich nicht. Ich nehme das Tiramisù. «
» Haben Sie Birne mit Schokolade? «
Ich würde Profiteroles nehmen. Ich mag Profiteroles, weich, mit Sahne gefüllt, beruhigend. Und einen Amaretto di Saronno. Amaretto ist lecker, am besten mit einem Cantuccio dazu, oder sagen wir zwei, Samstag gehe ich joggen. Ich muss mich wieder auf meine Arbeit konzentrieren und denke daran, wie meine Mutter mir als Kind die Decken zurückgeschlagen hat. Hass steigt in mir auf.
» Okay then «, beharrt Timothy, »lesen wir ihn ein letztes Mal.«
»Aber das muss dann auch wirklich das letzte Mal sein«, antworte ich. »Egal ob es gut oder schlecht läuft.«
»Was willst du damit sagen?«, fragt er streng.
»War ein Scherz.«
Während sich Timothy erneut in die Lektüre des Vertrags vertieft, schiebt sich Giuseppe müde auf den Rollen seines Stuhls in meine Richtung.
»Das ist jetzt kein Scherz«, flüstert er mir zu. »Dieser Scheißdeutsche hat doch nicht alle Tassen im Schrank. Der Vertrag wird jetzt abgeschlossen, wie er ist. Ohne Wenn und Aber.«
»Das ist kein Scheißdeutscher.«
»Sondern?«
»Er ist Engländer.«
»Eben. Die braten immer Extrawürste.«
Trotz Giuseppes Klagen scheint es, als wären wir am Ziel angelangt. Vor uns hängt ein Bildschirm von der Decke herab, auf den direkt von meinem Computer der Vertrag projiziert wird, alle einundvierzig Seiten nacheinander, die Frucht monatelanger Arbeit. Ein beeindruckendes Sammelsurium an Klauseln, Verpflichtungen, Erklärungen und Vereinbarungen zieht an mir vorüber und lässt mein Leben Revue passieren: Diese Klausel habe ich an dem Tag formuliert, als ich das Konzert von Sergio Caputo verpasst habe – es soll sehr gut gewesen sein. Diesen Artikel haben wir an dem Abend diskutiert, als das Essen mit meinen ehemaligen Mitschülern vom Gymnasium stattfinden sollte – ich hab’s mir geschenkt, aber man hat mir versichert, dass es ein sehr schöner Abend war. Und da sind sie auch schon, die Gewährleistungsvereinbarungen, um die es an jenem Sonntag ging, als ich nicht zum Essen nach Hause konnte – es gab Braten, den macht meine Mama sehr gut. Und so geht es weiter mit den Erinnerungen, bis zur letzten Seite.
Ich schaue den englischen Anwalt an.
»Alles in Ordnung?«, frage ich.
»Alles in Ordnung«, antwortet er.
Es ist Viertel nach zwei, als ich endlich eine Nummer von einer Visitenkarte abtippe. Mit perfekt französischem Akzent antwortet die
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