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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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1. Teil
    Am Abend des ersten Aprils drangen sie um einundzwanzig Uhr zwei ins Haus ein. Im Verlauf der nächsten neunundvierzig Minuten kackten sie auf den Boden, pissten an die Wände und zogen ihre zerstörerische Bahn durch alle sieben Räume des Hauses am Cape Cod. Sie schmissen Möbel um, zerschlugen bei drei Fernsehapparaten die Bildröhren, rissen zwei Videorekorder heraus und schmetterten sie zu Boden. Sie sprühten orangefarbenen Lack an die Wände. Sie setzten die Badezimmer unter Wasser, sowohl unten wie im Obergeschoss, und spülten Handtücher im Klo hinunter. Sie zerschlugen jeden Spiegel und kippten eine prächtige Vitrine um, dass Tassen, Untertassen und Teller aus Porzellan sowie das dazugehörige Kristall durch die Luft flogen. In den Schlafzimmern im Obergeschoss zogen sie die Schubladen heraus, entleerten ihren Inhalt auf den Boden, zerrten Kleidungsstücke aus den Schränken und schlitzten die Matratzen auf.
    Im Erdgeschoss unterzogen sie das Klavier im Hobbyraum einer Sonderbehandlung, zerschlugen die Tasten mit einem Hammer. Der Lärm war wie eine verrückte Hintergrundmusik zu dieser Szenerie der Verwüstung.
    Sie waren zu viert, und obwohl die Zerstörung spontan und ungeordnet ablief, gelang es ihnen, in jedes Zimmer einzudringen. Und was ihnen unter die Finger kam, ging zu Bruch.
    Um neun Uhr achtundvierzig beging die vierzehnjährige Karen Jerome den Fehler, von ihrer Freundin schon früh nach Hause zu kommen. Sie wunderte sich darüber, dass die Haustür einen Spaltbreit offen stand und im ganzen Haus Licht brannte. Als sie in die Eingangshalle trat, schlugen ihr Geschrei und Gejohle entgegen.
    Einer von ihnen, immer noch den Hammer in der Hand, mit dem er das Klavier demoliert hatte, begrüßte sie.
    »Na, hallo …«, sagte er.
    Noch nie zuvor hatte jemand sie so angesehen.
    Um neun Uhr einundfünfzig gingen die Eindringlinge wieder, verließen das Haus ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren, knallten dabei die Türen zu, dass die Fensterscheiben klirrten, Decken und Wände erbebten. Zurück blieben dreiundzwanzig Bierdosen, zwei leere Wodkaflaschen und ein Schaden, der später auf zwanzigtausend Dollar geschätzt wurde – und, was das Schlimmste war, Karen Jerome, die, alle viere von sich gestreckt, wund und gebrochen im Keller auf dem Boden lag.
    Der Rächer sah alles. Von seinem Versteck aus.
    Voller Entsetzen sah er zu, wie sie das Haus, das er im Lauf der Zeit ins Herz geschlossen hatte, verwüsteten und darin herumtobten, es plünderten. Die Geräusche des Gemetzels ließen ihn zusammenzucken, als würde sein eigener Körper entstellt.
    Tränen brannten ihm in den Augen und ließen alles um ihn herum verschwinden, bis er sie blinzelnd beseitigte. Das Haus war sein Revier. Er hatte es abgesteckt und erhob Besitzansprüche. Er war ein Teil des Hauses geworden und gehörte zu den Jeromes, die darin wohnten, wie ein Sohn oder Bruder von ihnen allen. Er hatte das Kommen und Gehen der Familie beobachtet, hatte Anteil an ihrem Tagesablauf, den guten und den schlechten Zeiten.
    Der Rächer kam aus seinem Versteck und huschte von einem Fenster zum anderen, tauchte in dunkle Schatten ein und flitzte wieder hervor, im Schutz der Bäume und Sträucher, die das Haus umgaben. Aber ebendiese Bäume und Sträucher verhinderten auch, dass jemand aus den anderen Häusern der Straße sehen konnte, was hier drin vor sich ging. Und was vor sich ging, entsetzte den Rächer. »Diese Tiere«, murmelte er vor sich hin, während er zusah, wie die Zerstörer von Zimmer zu Zimmer liefen, kreischten und schrien und das Haus auseinandernahmen.
    Er kannte ihre Namen nicht, hatte sie noch nie zuvor gesehen, aber dennoch wusste er, wer sie waren. Das waren normale Jugendliche, keine schmierigen Typen von Rock Point, und sie gehörten auch nicht zu den rauen Kerlen und Drop-outs, die an der Byrant Bridge herumhingen. Sie waren ordentlich gekleidet. Keine Lederjacken und schwarze Stiefel. Sie sahen aus wie Baseballspieler einer Schülermannschaft oder wie die Leute, die im Supermarkt die Einkäufe in die Tüten packten oder bei McDonald’s bedienten.
    Der Rächer bekam nicht mit, wie Karen Jerome das Haus betrat, aber er sah, wie sie quer durch die Eingangshalle geschleift wurde. Gleich darauf ging das Licht aus.
    Ein leises Ächzen entschlüpfte seinem Mund, ein Laut, der aus dem tiefen Dunkel seines Inneren kam, weil er ihr nicht helfen konnte. Das war das Schrecklichste daran – das Wissen, dass er im

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