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Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Titel: Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federico Baccomo
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Zeit wird die Glückseligkeit um ein weiteres Element urbaner Poesie bereichert: die Klänge eines Klaviers. Der Pensionär, der sich an dem Instrument versucht, lässt eine Vorliebe für Scherzi und Balladen von Chopin erkennen. Auch an diesem Morgen dringen, zusammen mit den Sonnenstrahlen, die mächtigen Klänge durch die Fensterläden. Das ist schon etwas anderes, so geweckt zu werden, statt vom Klingeln dieses Geräts , und indem ich mich mühsam auf die Seite drehe, strecke ich die Hand nach dem Radiowecker auf dem Nachttisch aus. Die blinkende Zeitanzeige verrät: 7.09. Seufzend schleppe ich mich zum Fenster. Die Augen noch schlafverkrustet, öffne ich umständlich die Läden und schaue hinaus.
    »Hallo«, beginne ich zu schreien. »Was ist denn das für ein Hurensohn? Müssen wir uns wirklich jeden Morgen dieses Geklimper anhören? Und pling und plang und pling und plang . Es gibt Leute, die ihren Schlaf brauchen, weil sie Tag für Tag den Buckel krumm machen. Können wir uns da vielleicht mal ein wenig beherrschen? Verdammte Scheiße.«
    Ein sanfter Schleier des Schweigens senkt sich über den Hof.
    »Das ist doch wirklich ein Rüpel«, ruft dann eine brüchige Stimme.
    »Komm her, Eugenio. Hör gar nicht auf diesen ungehobelten Menschen.«
    Ich halte die Augen geschlossen, lasse den Kopf aufs Kopfkissen sinken, strecke die Beine aus und bleibe im Halbschlaf liegen.
    Als ich die Wohnung verlasse, kracht ein Donner.
    Auf der Fußmatte binde ich mir die Krawatte um und gehe im Geiste noch einmal die Aufgaben des Tages durch. Im Treppenhaus begegne ich der Hausmeisterin, die mich, auf ihren Besen gestützt, finster mustert. Sie ist klein, kaum mehr als vierzig Jahre alt und hat die aufdringliche Stimme dieser Leute, die sich mit Protagonisten von Talkshows streiten. Stur beharrt sie darauf, dass unser Haus jede Mahnung wegen fehlerhafter Mülltrennung nur mir zu verdanken hat.
    »Guten Morgen, Herr Staatsanwalt«, sagt sie und starrt auf meine Schuhe, die über die frisch geputzten Stufen laufen.
    »Ich bin nicht Staatsanwalt.«
    »Haben Sie denn kein Examen gemacht?«
    »Ein solches Examen gibt es nicht mehr. Heute gibt es nur noch ein Anwaltsexamen. Und genau das bin ich: Anwalt.«
    »Mein Schwiegersohn ist aber Staatsanwalt.«
    »Hören Sie, Signora, dieses Spielchen haben wir schon oft genug gespielt. Wir hatten das doch besprochen: Sie sagen Guten Morgen, und ich grüße gerne zurück. Titel brauchen wir nicht, das ist schon in Ordnung so. Erkundigen Sie sich lieber, warum ich kein warmes Wasser habe.«
    »Ich werde Garlini anrufen.«
    »Besten Dank.«
    »Leider muss ich Sie davon unterrichten, Herr Anwalt , dass schon wieder eine Mahnung eingegangen ist.«
    Auf dem Rest der Treppe nehme ich immer zwei Stufen auf einmal und bin schon weit weg. Als ich auf den Bürgersteig trete, denke ich an Signor Umberto Garlini, einen pensionierten Italienischlehrer, der unser Haus verwaltet. Ich dachte, er sei schon längst tot.
    Ich schaue hoch.
    Der Himmel ist schwer von Regen, ein kalter Wind bläst, in den Straßen drängen sich die Autos. Eine Mutter reißt am Arm ihrer Tochter, die sich weigert, in den Wagen zu steigen, während der Vater hinter dem Lenkrad sitzt und in ein Headset brüllt: »Das ist mir scheißegal, ich möchte Sie heute Mittag dort erscheinen sehen.« Dann zu dem Kind: »Veronica, verdammt, steig in den BMW und hör auf damit.« Dann wieder ins Headset: »Punkt Mittag und keine Minute später.«, »Veronica, verdammt«, fügt er geistesabwesend hinzu, während er im Rückspiegel überprüft, ob er sich anständig rasiert hat. Ein Hupkonzert bildet den Soundtrack für diese Szene.
    Ich gehe zur Bushaltestelle und betrachte mich in den Schaufenstern. Mofas schlängeln sich zwischen Autos und Flüchen hindurch, und ich stelle fest, dass ich dicker geworden bin.
    Der Bus ist pünktlich. Im Innern – fünfzehn Sitzplätze und fünfundvierzig Stehplätze – drängen sich etwa hundert Leute, die sich aneinanderklammern und gleichzeitig giftige Blicke zuwerfen. Ich steige als Letzter ein und versiegle diese Menschenmasse, die mich gegen die Tür quetscht. Eine Dame um die sechzig rammt mir ihren Schirm in den Rücken, während sie darauf besteht, dass ein Mädchen mit Ohrstöpseln und Hello-Kitty-Rucksack ihr den Sitzplatz überlässt. Das Mädchen beachtet sie gar nicht, sondern schaut stur aus dem Fenster und dreht die Musik lauter. Eine andere Dame erklärt ihrer Freundin, dass bei der

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