Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
noch gefehlt , und wenn mich jemand anspricht, blicke ich nach einer Ewigkeit auf, als würde ich aus fernen Gefilden zurückkehren. Entschuldigung, du hast einen wirklich schlechten Moment erwischt. Was hast du gesagt?
Ich lese alles, was ich im Internet finde, stoße auf den Blog eines Goth-Models, das ihren Fledermaus-Opa segnet, lasse die Themen eines Chat-Forums für sexuelle Probleme von Jugendlichen durchscrollen und erfahre, dass Masturbation die Immunkräfte schwächt. Schließlich lande ich bei eBay und biete drei Euro fünfzig für eine Art Tennisschläger, der den sicheren Tod einer jeden Mücke bedeutet.
Meine Aufmerksamkeit gilt den Bildern, die corriere.it vom neuen Playmate des Jahres präsentiert, als plötzlich das Telefon meines Büronachbarn zu klingeln beginnt.
Nicola schaut den Apparat an, dann schaut er mich an, dann wieder den Apparat, dann wieder mich.
»Hallo«, sage ich. »Was ist los? Willst du nicht rangehen?«
»Das ist dieser Mandant«, erklärt er fast stammelnd. »Borzacchi.«
»Ja und? Geh ran und hör dir an, was er will.«
»Ich weiß doch, was er will«, sagt Nicola zu sich selbst. »Es ist Borzacchi«, wiederholt er und drückt auf die Mithörtaste.
Borzacchi ist fuchsteufelswild. Zwischen elektrostatischen Entladungen und Störgeräuschen, die sich perfekt mit seiner Stimme vermischen, meine ich zu verstehen, dass ihm Artikel 7.2, zu dem er gegen Nicolas Empfehlung seine Einwilligung gegeben hat, nicht ganz klar ist, ja, dass er ihm vielmehr überhaupt nicht in den Kram passt.
»Das ist die Klausel, über die wir letzte Woche geredet haben«, versucht Nicola, ihn zu beschwichtigen. Er ist blass, kramt in den Papieren auf seinem Schreibtisch herum, kratzt sich unter der Achsel.
»Entschuldige bitte, wenn ich es so sage«, beharrt Borzacchi, »aber diese Klausel scheint mir ein verdammter Mist zu sein.«
»Nun, sie ist nicht gerade die aller…« Nicola zögert. »Aber nein, sie ist kein Mist. Wir haben doch darüber geredet. Du hast gesagt, dass du keine Probleme damit hast und dass meine Einwände nur Flausen eines Möchtegernadvokaten seien.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mein approval gegeben hätte.«
»Letzte Woche. Direkt vor mir liegt die Mail, in der du mir deine Zustimmung versichert hast.«
»Vergiss die Mail. Jetzt bin ich am Telefon.«
»Ja. Entschuldigung.«
»Kurz, das geht so nicht.«
»Wir haben der Gegenseite aber schon unser Okay gegeben.«
»Das geht trotzdem nicht. Das muss umformuliert werden. Wir sind nicht bereit, uns in den Arsch ficken zu lassen, falls du mir den Ausdruck erlaubst.«
»Niemand will euch in den Ar… Ich meine, die Klausel ist nicht …«
»Nun, ich hoffe, wir verstehen uns recht. Ich als Mandant will eine solche Klausel nicht. Schluss, aus.«
»Hör mal, wir können jetzt nicht mehr zurück, nicht, nachdem wir unsere Zustimmung gegeben haben. Das wäre nicht korrekt.«
»Verdammte Kacke, weißt du, was ich von deiner Korrektheit halte? Was soll ich dem Vorstand sagen? Soll ich ihm mit Korrektheit kommen? Ha, Korrektheit , das jagt mir glatt Angst ein, brrrrr . Das geht nicht, wie soll ich dir das klarmachen? Das muss umformuliert werden, verstehst du? Um-for-mu-liert .«
»Klar, sicher.«
»Beim Spiel am Sonntag treten wir die Schwarzblauen in den Arsch.«
»Gewiss«, antwortet Nicola, der nicht AC-Mailand-, sondern Inter-Fan ist.
Nicola erträgt die Dinge mit einer Geduld, die mich immer wieder überrascht, aber jetzt sehe ich ihn zittern. Ich signalisiere ihm, dass er sich nicht aufregen soll. Wieder kann ich allerdings nicht umhin, mir vorzustellen, wie er wegen eines merkwürdigen Gemetzels, in dem die Tatwaffe offenbar eine Ausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs war, von einem Polizisten verhört wird.
Währenddessen hat Giuseppe seinen Kopf zur Tür hereingestreckt.
»Endru, machst du ein Päuschen?«
»Ich tue mein Bestes, Giuseppe.«
»In den nächsten Tagen wird es nämlich …«
Kichernd entfernt er sich und lässt den Satz mit all dem dräuenden Unheil, das darin mitschwingt, unvollendet. In wenigen Sekunden falle ich aus heiteren Sphären ins Schwarzweiß der Wirklichkeit zurück.
So ist er, mein Chef, er kann Leute motivieren. Sein Leitspruch lautet: Wenn sich alle auf das Schlimmste gefasst machen, gibt jeder sein Bestes . Das ist eine stumpfsinnige Philosophie, aber sie hat schon zahlreiche Kollegen angesteckt. Ihre Augen werden immer schmaler, ihre Gesichter fallen ein, Lider
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