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Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Titel: Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federico Baccomo
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buchstabieren, hält unsere fünftausend Schicksale zusammen.
    Dieser Name ist mehr als ein Name, er ist eine Marke und steht für Exzellenz. So heißt es über dem Gesicht, das sich auf der italienischen Homepage der Kanzlei breitmacht und Zufriedenheit über das bereits verdiente Geld und Bedauern über die Mühen weiterer Geldscheffelei zum Ausdruck bringt. Das Gesicht gehört Francesco Persecati, dem geschäftsführenden Partner der Kanzlei, einem Mann in den Fünfzigern mit rot gefärbten Haaren, der Slipper aus Krokodilleder trägt und für den Unterhalt dreier Frauen sorgt, und das alles mit unbeirrbarer Nonchalance.
    Unter dem Gesicht steht der nüchterne Slogan, mit dem die Mandanten begrüßt werden: Partner für Ihre Interessen . Er präsentiert die Unternehmensphilosophie, nachdem der alte Spruch Mit dem Gesetz gegen das Gesetz allzu großes Interesse bei den Steuerbehörden geweckt hatte.
    Wenn man sich durch die Vertrauen und Kompetenz ausstrahlenden Bilder hindurchklickt – Kinder, die über Blumenwiesen laufen, lange Regalreihen voller Bücher, ein Mann in Jackett und Krawatte, der reglos auf einem Hügel steht und in die Wolken schaut –, erhält man das vollständige Panorama der Leistungen, die unsere Kanzlei den Riesen aus Industrie und Finanzwelt anzubieten hat. Rechtsbeistand im großen Stil und auf jedem Gebiet, das eine wohlklingende Übersetzung ins Englische kennt: corporate , finance , dispute resolution , tax , employment , real estate . Etcicera etcicera könnte man noch hinzufügen, frei nach Giuseppe, der sich der englischen Aussprache sonst nicht grundsätzlich verweigert, besonders nicht zugunsten von Latein. (»Man macht das einfach, Endru, hast du dich denn noch nie gefragt, warum Latein tot ist? Achten wir also darauf, dass wir die Evolution nicht aufhalten, auch und vor allem nicht in den kleinen Dingen.«)
    Der beste Teil der Website sind die Fotos, eine endlose Parade von Rechtsanwälten, verewigt in einer Bibliothek oder an ihrem Schreibtisch oder lässig an eine Säule gelehnt, alle aber mit der scheinheiligen Miene desjenigen, der Dreck am Stecken hat und genau weiß, dass er heil davonkommt. Auf meinem Foto prangt durch einen optischen Effekt ein tendenziell phallischer Fleck auf der Krawatte. Gelegentlich rufe ich in London an, wo die Website gepflegt wird, und bitte darum, dass das Bild ersetzt wird. Die Frau vom technical support antwortet jedes Mal: No, no, you’re beautiful , und legt auf. Manchmal habe ich den Verdacht, dass sie sich über mich lustig macht, obwohl das wahrscheinlich nicht stimmt.
    Der Mailänder Sitz zählt etwa dreihundert Mitarbeiter, darunter Partner, Anwälte, Volontäre, Praktikanten, Sekretärinnen, Empfangsdamen, Techniker, Boten, Verwaltungsmitarbeiter und Buchhalter, die in einem gesichtslosen Gebäude auf fünf Stockwerke verteilt sind.
    Mein Büro befindet sich im dritten Stock. Es ist ein kleines Zimmer, das auf die Straße hinausgeht, wo die Autos mit einer gewissen Regelmäßigkeit dazu neigen, Fußgänger plattzufahren.
    Das ist der Ort, an dem ich arbeite.
    Das ist der Ort, an dem ich gelernt habe, ein vielversprechender Profi zu sein.
    Das ist der Ort, an dem es mir neuerdings nicht mehr gut geht.
    Im dritten Stock der Kanzlei Flacker, Grunthurst and Kropper geht es hoch her.
    Telefone klingeln, Tastaturen klappern, Sekretärinnen laufen hektisch von Raum zu Raum, ein IT-Beauftragter bittet die Mitarbeiter praktisch bei jeder Begegnung, den Computer neu zu starten, die Boten geben Päckchen und Umschläge ab, ein Partner schreit, ein Praktikant bricht zusammen, ein Volontär erhält präzise Anweisungen, wie man Papiere zusammenheftet, Stimmen vermischen sich, Lacher überschlagen sich, Ach, hier ist der Toner gelandet , Wo finde ich die Klebezettel? , Ich möchte wirklich mal wissen, welcher Idiot auf dem Klo nicht abgezogen hat .
    Derweil gebe ich mein Bestes, um beschäftigt auszusehen und zu vermeiden, dass sich irgendjemand meine vorübergehende Freiheit zunutze macht und mir eine dieser Arbeiten aufdrückt, die nicht länger als ein halbes Stündchen dauern oder allerhöchstens ein klein bisschen länger . Ich schiebe Zettel auf dem Schreibtisch hin und her, tue so, als würde ich ein Schriftstück suchen, ziehe längst vergessene Akten aus dem Wandregal, öffne sie, atme Staub ein, schließe sie, stelle sie an ihren Platz zurück, schaue auf den Bildschirm, stöhne. In regelmäßigen Abständen sage ich Das hat mir gerade

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