Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
Kräften gegen einen Singhalesen, der mir mit Hilfe einer welken Rose den Fluchtweg versperrt.
Ich kapituliere.
Wir biegen in die kopfsteingepflasterten Gässchen ein, und Giada, die auf ihren Absätzen ohnehin schon schwankt, klammert sich noch fester an meinen Arm. Sie zeigt auf eine Marmortafel: In diesem Haus lebte, arbeitete und starb Manzoni . Ich zeige auf ein Schild: Einzimmerwohnung zu vermieten, 1400 Euro kalt . Sie zeigt auf einen alten, mit Blumen überwucherten Balkon. Ich zeige auf die Marokkaner, die ihre gefälschte Ware einpacken. Sie zieht einen Flunsch. Ich zucke resigniert mit den Achseln.
»Sie sind sympathisch, nicht wahr?«, sagt sie plötzlich.
»Wer?«
»Meine Freunde.«
»Ach so, ja. Sehr. Ich meine, ziemlich.«
»Oh Mann. Bist du sauer?«
»Nein, wieso?«
»Du scheinst immer an irgendetwas zu denken. Es reicht, verdammt noch mal. Du bist ein echter Langweiler.«
»Ich hab doch gesagt, dass du auf der Party bleiben sollst.«
»Stimmt es, dass du in Russland gearbeitet hast?«
»Wer sagt das?«
»Elvis.«
»Elvis?«
»Dein Freund.«
»Der heißt Giovannino und ist ein Trottel.«
»Warst du nun dort oder nicht?«
»Ja.«
»Dann musst du ja ziemlich wichtig sein.«
»Ich bin nicht wichtig.«
»Wenn ich das nächste Mal nach Mailand komme, musst du mich ins Nobu ausführen. Tust du das?«
Ich sehe sie an. Ich möchte ihr am liebsten mit der Faust direkt auf den Schädel schlagen und sie in den Gully stampfen. Ich küsse sie.
Giada kneift mir mit der rechten Hand in die Wange und reibt hektisch ihre Zunge an der meinen. Ich lasse sie gewähren und schweife in Gedanken ab. Irgendwann öffne ich die Augen und betrachte die Kirche im romanischen Stil, die sich auf dem Platz vor uns erhebt. Das ist wirklich eine schöne Kirche , denke ich, was für ein herrlicher romanischer Stil . Eine Wahrsagerin bedeutet mir näher zu kommen. Ich wende den Blick ab und sehe, wie in der Ferne ein Alter stolpert und sich an seine Frau klammert. Sie schimpft. Er wünscht sie zur Hölle. Ich muss lachen. Giada löst ihre Lippen von den meinen, öffnet die Augen und sieht das Lächeln auf meinem Gesicht.
»Ich bin auch glücklich«, sagt sie. »Und jetzt gehen wir in die Galleria Vittorio Emanuele und quetschen dem Stier mit der Hacke die Eier ein. Das soll Glück bringen.«
Ich schaue aus meinem Bürofenster, während ich darauf warte, dass mein Computer hochfährt. Wieder muss ich lächeln. Ich komme mir vor wie ein kleiner Junge, der die Pausenglocke herbeisehnt, dieselbe Unruhe, dieselbe kindliche Angst. Telefonate, E-Mails, Sitzungen, Diskussionen, Vorgänge, Dringliches, Mühsal. Ein neuer Arbeitstag hat begonnen. Das Handy auf dem Schreibtisch vibriert. Ich nehme es und lese die Nachricht.
Giada.
Weißt du, dass du mir fehlst?
Ich schüttle den Kopf.
Mir ist klar, dass ich sie nie wiedersehen werde. Während ich aber den Brieföffner, den ich aus der Schublade gefischt habe, in den Händen herumdrehe und die dicken Akten mit den abgeschlossenen Vorgängen sehe, habe ich plötzlich das Gefühl, dass sie mir ebenfalls fehlt. Ich tippe das Passwort in den Computer, und bevor ich vom Arbeitsalltag verschluckt werde, denke ich ein letztes Mal an sie und ihre Leichtigkeit.
Vielleicht sind gewisse Abende tatsächlich magisch.
»Andrea, was tust du denn da? Lachst du über dich selbst?«
»Nein, das sind nur spastische Zuckungen.«
»Das fängt ja gut an.«
Der Rest des Jahres wird genauso sein.
Man fängt an.
1
Ich heiße Andrea Campi.
Ich bin dreißig Jahre alt.
Ich nehme meinen Beruf sehr ernst.
In letzter Zeit geht es mir nicht sehr gut.
Wie zum Teufel hieß die nur? Ist es denn möglich, dass mir ihr Name nicht einfällt? Dabei weiß ich ihn. Blond, lebt noch. Nein, vielleicht auch nicht. Vielleicht ist sie schon tot. Sicher ist sie schon tot. Vielleicht aber auch nicht, vielleicht lebt sie noch. Aber wie heißt sie bloß, verdammt?
Seit Stunden geht mir diese Frage im Kopf herum.
Der Name einer blonden Schauspielerin.
Tot.
Oder lebendig.
Ich habe mich in Fantasien verloren: Eine Schar Tauben erhebt sich vom Domplatz und stürzt sich auf das fünfstöckige Gebäude, in dem ich eingeschlossen bin. Wild gewordene, bösartige Tauben. Mit schier unglaublicher Wut greifen sie das Gebäude an, lassen die Fensterscheiben zerspringen, dringen in die Zimmer ein, mähen unterschiedslos jedes Hindernis nieder, Menschen, Pflanzen, Gegenstände, alles. Ein grausamer, mitleidloser,
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