Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
begleitet, ist immer dasselbe: eine tiefe, unbesiegbare, aufgeputschte Erschöpfung. Man denkt an Nächte im Büro, an Wochenenden hinter dem Schreibtisch, während ganze Autokolonnen in Richtung Strand aufbrechen, an vibrierende Blackberrys, Pizzakartons im Papierkorb, Schnitte in der Wange wegen überhasteter Rasuren, an Augenringe, gähnende Münder, Gewissensprüfungen. Wie gelähmt fühle ich mich, wenn das charakteristische plong , mit dem die E-Mails eintreffen, eine hohe rhythmische Dichte annimmt. Plong . Ich öffne Mappen und sortiere Zettel. Plong . Ich gehe mir einen Kaffee machen. Ein paar Kollegen erkundigen sich nach meiner Meinung über die Beine von Ornella, der neuen Sekretärin. Ich kenne Ornella, die neue Sekretärin, nicht und kehre an meinen Schreibtisch zurück. Die fett gedruckten Nachrichten häufen sich im Outlook Express. Plong. Sie haben eine neue Nachricht . Möchten Sie die Nachricht jetzt lesen? Ich nippe an meinem Kaffee. Ich werfe den Plastikbecher in Richtung Papierkorb. Plong . Ich stehe auf, bücke mich nach dem Becher, der daneben gefallen ist, und werfe ihn in den Papierkorb. Plong . Ich setze mich wieder. Das Telefon klingelt. Ich starre es an wie etwas, das ich noch nie gesehen, von dem ich aber schon viel gehört habe. Trrrr . Ich starre es an. Trrrrrrrr . Ich starre es an. Trrrrrrrrrrrr . Meine Lider sinken herab wie Rollläden am Freitagnachmittag. Automatische Anrufweiterleitung. Plong . Ich schaue einer Fliege hinterher. Valentina, meine Sekretärin, kommt herein.
»Banzoni von Bonelli hat angerufen. Er bittet um Rückruf, es sei dringend.«
»Klar«, antworte ich und betrachte die Knöpfe an meinem Hemd. »Ach, Valentina, erinnere mich bitte heute Nachmittag daran.«
Plong .
Ich hefte ein paar leere Klebezettel an den Rand meines Desktops, aus Symmetriegründen. Aus der lindgrünen Mappe ziehe ich ein paar head of terms und lege sie rechts neben die Tastatur. Ich öffne einen Modellvertrag für ein Joint Venture. Plong . Ich schaue aus dem Fenster. Sonne? Fehlanzeige. Ein Spatz flattert auf dem Balkon mit den Flügeln. Ich schaue auf die Uhr. Ich zähle, wie viele Stunden es noch bis zum Wochenende sind. Ich rufe mir meine Aufgaben in Erinnerung. Zwei Fronten: due diligence und Vertrag. Tiziano und Mantecato Cristoforis, Giorgio, sind nach Treviso gefahren. Ich soll von Mailand aus die Bewertung koordinieren und damit beginnen, den Vertragsentwurf zu überarbeiten.
Eine Menge Arbeit , denke ich.
Ich sollte anfangen , denke ich.
Ich sollte , denke ich.
Und öffne die Website von Zeus Investments.
Der Flash mit der Firmenpräsentation öffnet sich. Starre Einstellung auf den Mond, bogenförmiger Schwenk, Perspektive auf die Erde. Langsames Heranzoomen des Planeten. Die grün-blaue Kugel nähert sich und verblasst in der Wolkenschicht. Die Fahrt wird schneller. Die Filmkamera scheint nun auf den Erdball zuzustürzen, durchdringt die Nebelwand und saust auf den Mittleren Osten zu. Ein atemberaubender Sturz, und innerhalb weniger Sekunden zeichnet sich mit der strengen Geometrie ihrer Gebäude und den palmenförmigen Inseln die Stadt Dubai ab. Die Kamera rast weiterhin auf den Erdboden zu, und als ich schon einen Knall und eine Reihe von Bildstörungen, gefolgt von absoluter Schwärze, erwarte, schwenkt die Kamera in die Horizontale in Richtung eines Wolkenkratzers, an dem in großen Buchstaben der Schriftzug ZEUS prangt, und nähert sich dann einem offenen Fenster im obersten Stockwerk, wo ein lächelnder Mann in Kaftan und Turban einen Daumen hochhält.
Ich schließe die Website und schaue wieder aus dem Fenster.
Es ist Tag.
Dann ist plötzlich Nacht.
»Hast du eine Zigarette für mich?«
»Andrea, du rauchst doch gar nicht.«
»Tatsächlich?«
Ich rauche nicht. Dennoch habe ich ohne ein bestimmtes Ziel gegen zehn Uhr abends beschlossen, ein Stockwerk hinabzugehen, ein wenig herumzulaufen und Augen und Geist zu entspannen. Am Zimmer an der Ecke habe ich Licht unter dem Türspalt hervordringen sehen und bin von den Farben eines Lebens, das mein Schicksal teilt, wie hypnotisiert angezogen worden. Ein leises Klopfen, und Federica, eine Frau von knapp über dreißig mit lebhaften Augen und UV-Strahlen-verbrannter Haut, hat mich trotz ihrer offenkundig bleiernen Müdigkeit angestrahlt. Ihrer Begeisterung habe ich mit meiner Frage nach einer Zigarette einen Dämpfer verpasst.
»Nein, du rauchst tatsächlich nicht«, bestätigt sie und wirft mir eine Packung rote
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