Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
Marlboro zu.
»Unterschätz mich nicht, Federica. Es gibt Dinge, die…«
»Ja, ja, schon gut«, unterbricht sie mich, und ihre Miene verfinstert sich.
Ich nehme eine Zigarette, gebe ihr das Päckchen zurück und gehe wieder in mein Büro. In der obersten Schublade von Nicolas Schreibtisch krame ich zwischen den Medikamentenschachteln herum, finde ein Feuerzeug, stecke mir die Zigarette in den Mund und zünde sie an. Die Minuten verstreichen in einem absolut bedeutungsleeren Schweigen. Das Zimmer füllt sich mit Rauch. Mein Blick ist starr in den Abgrund meiner Gedanken gerichtet.
Dann klopft es.
Ich reagiere nicht.
Zögerlich öffnet sich die Tür.
»He, bist du blöd? Dafür habe ich das Geld nicht hingelegt.«
Ich bewege nicht den Kopf, sondern betrachte weiterhin, wie die Zigarette auf dem Schreibtisch steht und langsam abbrennt, ganz gleichmäßig, bis zum Filter.
»Schsch. Schau mal, wie schön. Die ganze Asche bleibt dran.«
Federica schüttelt den Kopf.
»Ich bin gekommen, um mich ein wenig zu unterhalten«, sagt sie eher zu sich selbst.
»Weißt du, wer Yukio Mishima ist?«, frage ich.
»Nie gehört.«
»Ein japanischer Schriftsteller.« Die Asche fällt auseinander und verteilt sich auf dem Teppichboden. »Er hat öffentlich Harakiri begangen. Er hat das Verteidigungsministerium besetzt und sich vor Presse und Fernsehen umgebracht, wie ein Samurai.«
Federica schaut mich irritiert an.
»Nein, nichts«, fahre ich fort. »Der Film läuft auf YouTube. Wieso bist du überhaupt noch hier?«
»Pinocchio-Project.«
»Ist das nicht geplatzt?«
»War es. Jetzt sind wir wieder dabei. Und du?«
»Etwas Neues. Dreifürzwei-Project.«
Gewaltsam wird die Tür aufgerissen und knallt gegen ein Metallregal.
»Ich bin Arzach, der letzte Held mit seinem Flugsaurier«, schreit ein Mann, der sich die peruanische Wollmütze bis über die Augen gezogen hat.
Federica erstarrt, unterdrückt einen Fluch und lässt sich dann auf Nicolas leeren Platz fallen.
»Du bist ein Idiot«, ruft sie und legt die Hände ans Herz, während sich Giovannino die Schnüre mit den Bommeln, die an seinen Ohren herabbaumeln, um den Hals wickelt.
»Giovannino, das ist nicht dein Tag«, sage ich und rolle mit meinem Schreibtischstuhl über die Asche.
»Habt ihr schon gegessen?«
»Nein«, sagen Federica und ich im Chor.
»Pizza? Sushi? Mexikanisch?«
»Eher nicht«, sage ich zögernd. »Ich habe noch eine Menge zu tun.«
»Klaaar, sicher doch«, erwidert Giovannino, dreht mich herum und stellt sich hinter mich. »YouTube? Schaut ihr euch die Backstage-Filme vom Erotikkalender von Sara Tommasi an? Was für ein Scheiß, Sara Tommasi. Und du, Federica, kommst du mit?«
Federica betrachtet Giovannino mit leeren Augen. Dann blickt sie mich an.
»Nein, eher auch nicht. Was denkst du denn?«
Giovannino nimmt die Mütze ab, geht zu Federica, dreht ihr den Arm auf den Rücken und schiebt sie aus dem Zimmer.
»Dann fort mit dir. Mit Leuten, die sich so wenig kooperativ zeigen, wollen wir nichts zu tun haben. Noch nie etwas von Mannschaftsgeist gehört? Die Männer entscheiden, die Frauen gehorchen.« Giovannino lacht, während Federica sich zu befreien versucht. »Mamma mia, hast du einen Hintern, Federica.«
Wir bleiben alleine zurück, Giovannino und ich.
»Komm schon, Andrea, mach Schluss.«
»Giovannino, nimm’s mir nicht übel, aber es ist schon nach zehn. Lass uns das ein anderes Mal machen …Wo sollen wir denn hingehen?«
»Lass uns auch Nicola anrufen.«
»Nicola ist schon seit Stunden zu Hause.«
»Wir werden ihn rauslocken.«
»Er hat sicher schon gegessen.«
»Dann wird er eben noch etwas essen. Der ist ein Tier, vergiss das nicht.«
18
Der Kellner ist soeben fortgegangen und hat uns eine Flasche edlen Grappa di Sangioveto dagelassen, der – wie die gedünstete Krake, die Spaghetti in Pergament, die gegrillte Goldbrasse und das Mandarinen-Kaffee-Sorbet – dem Mandanten in Rechnung gestellt werden wird, als Giovannino plötzlich ernst wird und einem unbesiegbaren inneren Drang nachzugeben scheint.
»Kinder«, sagt er und nimmt die Serviette von seinen Knien. »Ich habe schon seit einhundertneunundachtzig Tagen nicht mehr gevögelt.«
Das Restaurant ist fast leer. Die Kellner, die dem Ende ihrer Schicht entgegensehen, räumen Gläser und Gedecke ab und falten Tischdecken zusammen. Gelegentlich werfen sie uns einen Blick zu, in dem ich eine deutliche Botschaft zu lesen vermeine: Irgendwann ist wirklich der
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