Abgeschaltet
unwahrscheinlicher sind sie zu einer bestimmten Zeit an einem Ort. Jeder, der schon einmal einen Kindergeburtstag mit zehn wild durch die Wohnung tollenden Sechsjährigen veranstaltet hat, wird dies nachvollziehen können. Mit dem Unterschied, dass in Ihrem Wohnzimmer Milliarden Luftmoleküle umherschwirren. Um ein aufgedrehtes Kind einzufangen, braucht man Energie und Zeit. Um Milliarden Luftmoleküle einzufangen, braucht man ebenfalls Zeit, aber unendlich viel mehr davon. Ein interessantes Gedankenexperiment hat der Heidelberger Physiker Dieter Zeh entwickelt: Lässt man 50 Moleküle in einem ansonsten leeren Raum, der in sechs gleich große Teile unterteilt ist, frei fliegen, dann dauert es 200 Billiarden Erdalter (nicht Jahre!), bis sich diese Teilchen zufällig alle zum gleichen Zeitpunkt in einer Zelle befinden.
Gase sind also Ansammlungen unordentlicher Gesellen, je wärmer, desto unordentlicher. Da es uns nicht gelingt, die Ordnung vollständig wiederherzustellen, nimmt die Unordnung – die Entropie – permanent zu. Dieser Prozess ist unumkehrbar, so wie wir mit dem Alter nicht jünger werden können. Deshalb befürchteten Physiker wie Lord Kelvin, ein Zeitgenosse und Freund Joules, dass die Erde eines Tages den Hitzetod stirbt. Glücklicherweise handelte es sich bei diesem Vorläufer der heutigen Klimadebatte um einen Irrtum, denn die Erde ist ja kein abgeschlossenes System.
Dass uns heute die Erderwärmung ernsthafte Sorgen macht, hat ganz andere Gründe. Seit dem Zeitalter der Industrialisierung wurden und werden immer mehr Menschen immer wohlhabender. Der Wohlstand basierte bislang auf dem Verbrauch fossiler Energieträger. Bevor wir uns auf die Suche nach den Ideen machen, wie wir diese fossilen Energieträger ablösen oder zumindest effektiver nutzen können, wollen wir den Zusammenhang hinterfragen: Bedeutet mehr Wohlstand auch mehr Energienachfrage? Oder funktioniert Wachstum künftig ganz anders?
WOHLSTAND MIT IMMER WENIGER ENERGIE?
»Folge der Ölkrise: Ende der Überflußgesellschaft«
Titelzeile des Spiegel vom 19. November 1973
Wissen Sie, was ein Göpel ist? Ich wusste es auch nicht, bis ich im Deutschen Museum in München den Ausstellungsbereich zu historischen Kraftmaschinen besuchte. Gleich im ersten Raum lernte ich dieses Wort, das vor 300 Jahren noch zum allgemeinen Sprachgebrauch gehörte. Denn ein Göpel ist nichts anderes als ein auf dem Boden liegendes Rad, das über eine sich drehende Welle mechanische Energie an eine Maschine weitergibt. Den Göpel bewegten Tiere oder Menschen. Benötigt wurde mit dem Rad erzeugte Antriebskraft seit dem Ende des Mittelalters vor allem im Bergbau. Der Mensch hatte begonnen, Metallerze und später auch Kohle aus dem Boden zu holen. Schnell war erkannt, dass ein großer Teil der Gruben permanent entwässert werden muss – was nur mit einer permanenten maschinellen Förderung gut funktioniert. Ein anderer Antrieb als Mensch oder Tier stand nur dort zur Verfügung, wo man ein ausreichend schnell fließendes Gewässer vorfand und ein Wasserrad aufbauen konnte. Je tiefer man die Bergbaustollen in die Erde trieb, desto größer wurden die Probleme mit dem Sickerwasser. Bis Thomas Newcomen und Thomas Savery Anfang des 18. Jahrhunderts die Dampfmaschine erfanden. James Watt, dem die Erfindung oft zugeschrieben wird, hat durch seine Weiterentwicklung in Wirklichkeit nur den Wirkungsgrad der Maschine entscheidend verbessert – auf drei Prozent! Der Siegeszug dieser Maschine erhöhte die Produktivität nicht nur im Bergbau, sondern auch in anderen Industriezweigen, vor allem in der Textilindustrie.
Später gebaute Dampfmaschinen nutzen immerhin acht bis zehn Prozent der Energie, sie waren aber zu groß, zu schwer und zu teuerfür Handwerksbetriebe und kleine Manufakturen. Damit auch in solchen Betrieben Maschinenkraft genutzt werden konnte, mussten kleinere Motoren wie der Gasmotor von Étienne Lenoir (1860) und der Viertaktmotor von Nikolaus August Otto (1876) erfunden werden. Zur gleichen Zeit wurde eine weitere Form der Energie für den Menschen technisch nutzbar gemacht: die Elektrizität. 1866 entdeckte der Erfinder und Unternehmer Werner von Siemens das Dynamoelektrische Prinzip. Es besagt, dass im Eisen eines Dynamos immer ein Restmagnetismus verbleibt, so dass der Dynamo nur einen mechanischen Antrieb, aber keinen Strom benötigt, um Strom zu produzieren. In einem Brief an seinen Bruder schreibt Siemens: »Magnetelektrizität wird hierdurch
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