Abgründig (German Edition)
und versteckten sie in Hosentaschen und unter Pullovern, als sie den Speisesaal verließen. In der Unterkunft nahmen sie die Kletterausrüstungen aus den Camprucksäcken, um die Brote und die restlichen Flaschen mit Cola und Orangensaft darin zu verstauen. Außerdem füllten sie für unterwegs die neuen Alutrinkflaschen, die man jedem von ihnen geschenkt hatte, mit Wasser. Das sollte als Proviant für ihre Bergwanderung ausreichend sein. Gegen Abend wollten sie wieder im Camp ankommen.
Als Tim von Ralf wissen wollte, ob sie nicht auch die Kletterausrüstung brauchen würden, winkte der ab: »Quatsch, wir haben nur einen leichten Klettersteig vor uns, das ist kein Problem. Die Ausrüstung ist unnützer Ballast. Du wirst froh sein, wenn du den ganzen Mist nicht da hochschleppen musst, wirst schon sehen.«
Tim nickte mit einem Blick auf die am Boden liegende Ausrüstung und sagte: »Okay, wenn du meinst.«
Ganz wohl war ihm dabei nicht.
5
Fabian hatte seinen Wecker gestellt und weckte die anderen um Viertel vor fünf. Sie machten kein Licht, während sie sich anzogen, und sprachen nur flüsternd miteinander. Das Rascheln ihrer Kleidungsstücke war von allen Seiten in der Dunkelheit zu hören.
Als Tim und Janik sich ihre Rucksäcke aus dem Nebenraum geholt hatten und schon nach draußen streben wollten, blieben sie überrascht in der geöffneten Tür stehen.
Auf dem Rand der Holzveranda saß im schwachen Licht der Außenlampe Denis. Er trug die Jeans und die Turnschuhe vom Vortag und hatte sich eine dünne schwarze Jacke aus leicht glänzendem Stoff übergezogen. Soweit Tim es erkennen konnte, starrte er auf den Schotterweg vor sich.
»Was machst du denn hier?«, fragte Tim überrascht und erschrak im gleichen Moment, weil seine Stimme in der nächtlichen Stille unnatürlich laut geklungen hatte.
»Wonach sieht es denn aus?« Denis machte sich nicht die Mühe, sich nach ihm umzudrehen.
Janik machte drei, vier Schritte, bis er neben Denis stand. Leise sagte er: »Lass mich raten: Du sitzt hier. Hab ich recht?«
»Genau.«
Tim fröstelte trotz der Outdoorjacke und fragte sich, ob er nicht doch besser das Fell eingeknüpft hätte. Es war deutlich kälter geworden. Er hoffte, dass das nur an der Uhrzeit lag und es später wieder so warm würde wie am Vortag.
»Kommst du doch mit uns?«, fragte er Denis mit nun ebenfalls gesenkter Stimme, während er die Tür der Hütte hinter sich zuzog.
»Ja. Und?«
»Du hast keine Verpflegung dabei, und die Turnschuhe kannst du zum Wandern ja wohl voll vergessen.«
Denis erhob sich und machte einen Schritt auf die Veranda, bis er nur noch einen Meter von Tim entfernt stand. Ohne eine erkennbare Regung sah er ihm in die Augen. »Ist das dein Problem?«
Bevor Tim antworten konnte, hörte er vor sich Ralfs bemüht gedämpfte Stimme. »Hey, was ist denn hier los? Seid ihr verrückt geworden? Ihr steht da wie auf dem Präsentierteller. Wenn euch jemand von den Betreuern sieht, können wir unseren Trip vergessen.«
Er hatte wohl schon zwischen den Hütten gewartet und kam nun auf sie zu. Unmittelbar hinter ihm trottete Lucas. Dessen Rucksack war so prall bepackt, dass Tim sich fragte, ob er doch die Kletterausrüstung für Ralf und sich mitgenommen hatte.
Im Gegensatz zu allen anderen, einschließlich Lucas, sah Ralf tatsächlich nach einer langen Bergwanderung aus. Er trug klobig wirkende Wanderschuhe zu einer kakifarbenen Trekkinghose, eine schwarze Fleecejacke und offen darüber eine dünne Regenjacke.
Ralf baute sich vor Denis auf und betrachtete ihn von oben bis unten. »Wie, kommst du etwa doch mit? Mit den Klamotten? Ohne Verpflegung?«
»Was dagegen? Ralf ?«
Einen Moment schien Ralf nachzudenken, dann zuckte er mit den Schultern. »Du musst selbst sehen, wie du mit diesen Stoffschühchen am Berg klarkommst und ob dir jemand was zu trinken und zu essen abgibt. Ich hab keine Lust, wegen dir umzukehren, und das werden wir auch nicht.«
Denis wandte sich ab, ohne ihm eine Antwort zu geben.
Kurz darauf kamen Fabian und Janik aus der Hütte. Fast zur gleichen Zeit stießen auch Jenny, Lena und Julia zu ihnen. Sie waren komplett.
Lena hatte eine dunkle Strickmütze auf dem Kopf, die ihr Gesicht als schemenhafte Insel erscheinen ließ. Ohne Umschweife ging sie zuerst zu Ralf, der hinter Lucas stand und sich an dessen Rucksack zu schaffen machte. Tim versuchte, den leichten Stich zu ignorieren, den er verspürte. Er sagte sich, dass es vollkommen normal war, dass Lena
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