Abgründig (German Edition)
stand. »Ich dachte, diese Tour soll Spaß machen. Wenn ihr jetzt schon anfangt, euch zu streiten, könnt ihr gleich alleine weitergehen.«
»Und ich kehre dann auch um«, bekräftigte Julia.
Sebastians Aufmerksamkeit wanderte von den beiden Mädchen zu Lena, die er eine Weile betrachtete, bevor er sich erneut Denis zuwandte. »Also gut. Aber hör endlich auf mit dem Gemecker.«
»Können wir jetzt weitermachen?«, schaltete Ralf sich ein und zog damit die Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Wir werden zuerst zur Höllentalklamm gehen. Bis zum Eingang sollten wir es in etwa einer Stunde schaffen. Durch die Klamm hindurch werden wir eine halbe Stunde brauchen, wenn wir nicht trödeln. Da machen wir dann die erste Pause.«
»Was ist diese … Klamm?«, wollte Lucas wissen. Tim fuhr der Gedanke durch den Kopf, dass es wohl der erste Satz war, den er von dem Rothaarigen seit ihrem Kennenlernen am ersten Tag gehört hatte.
»Das ist eine Schlucht, die euch gefallen wird. Sieht irre aus dort. Wir werden durch Tunnel laufen, über Stege und Felstreppen. Ich sage euch, das wird ein Riesenspaß.«
»Und dann?«, fragte Tim, der angesichts der Tatsache, was sie bei ihrer Rückkehr im Lager erwarten würde, ernste Zweifel an dem »Riesenspaß« hatte. »Gehen wir von dort aus wieder zurück?«
Ralfs Mund verzog sich schelmisch. »Von dort aus geht es erst richtig los. Wir wandern zu einer Hütte und von dort wahrscheinlich weiter über den Höllentalanger – das ist ein echt genialer Klettersteig.«
Tim überlegte, was ein Klettersteig sein könnte. Er hatte zwar eine vage Vorstellung, wusste es aber nicht sicher. Da sonst niemand fragte, hielt er sich mit seiner Frage jedoch zurück. Er würde es ja sehen.
»Tja, und danach müssen wir etwa eine Stunde lang etwas steiler bergauf. Die Hütte, zu der ich möchte, liegt abseits der bekannten Wege. Das heißt, wir werden ein Stück weit über Felsgeröll und ein paar Hänge klettern müssen.«
»Und dafür brauchen wir keine Kletterausrüstung?«, fragte Lena misstrauisch.
»Quatsch. Ich bin da schon zigmal mit meinem Vater durch. Der ist übervorsichtig und hatte alles dabei, aber wir hätten den Kram echt nicht gebraucht. Was glaubt ihr, was ihr fluchen würdet, wenn ihr das ganze Gepäck da hochschleppen müsstet.«
»Du weißt schon, dass alle außer dir Anfänger sind, nicht wahr?«, erinnerte ihn Tim. »Dass diese Kletterei für dich kein Problem ist, mag ja sein. Aber bist du sicher, dass wir das auch ohne Hilfsmittel und Sicherung schaffen?«
Mit einer theatralischen Geste verdrehte Ralf die Augen. »Zum zehnten Mal: Ja, ich bin sicher. Vertrau mir. Solange ich dabei bin, wird euch nichts passieren.« Er machte eine Pause und sah von einem zum anderen. »Und jetzt schlage ich vor, wir machen uns auf den Weg.«
Damit wandte er sich ab und marschierte los, und nach und nach folgten ihm die anderen. Lena lief neben Jenny und Julia, Tim blieb hinter den dreien.
Nach ein paar Schritten sagte Denis hinter ihm: »Der Angeberfreak überschätzt sich.«
Das war genau das, was auch Tim insgeheim befürchtete.
Er spähte zur Seite, wo sich die gewaltigen Konturen der Berge wie ein monumentaler Scherenschnitt vor dem ersten, vorsichtigen Schein der beginnenden Morgendämmerung abhoben.
Er hoffte, dass sie sich beide irrten.
6
Sie schafften den Weg bis zur Höllentalklamm in etwas mehr als einer Stunde. Zwischenzeitlich war es vollkommen hell geworden und die dichten dunklen Wolken am Himmel deuteten auf Regen hin.
Den Einstieg in die Klamm bildete eine kleine Hütte, die aber geschlossen war. Ein Schild am Eingang wies darauf hin, dass der Zugang erst ab dem fünfzehnten Mai geöffnet sei. Bis dahin waren es noch zwei Tage.
»Gut, dass Ralf sich hier auskennt«, murrte Denis mit Blick auf das Schild.
»Und ob.« Ralf lachte. »Ich weiß, dass die Klamm immer erst Mitte Mai öffnet. Das ist das Beste, was uns passieren kann. Wir brauchen keinen Eintritt zu zahlen und sind da drin absolut unter uns. Die Brücken und Treppen sind so kurz vor Saisonauftakt sicher alle schon geöffnet. Natürlich weiß ich, wie man reinkommt. Alle mir nach.«
Also folgten sie Ralf über einen Zaun und die kleine Hüttenterrasse und erreichten gleich dahinter eine steile Treppe, die an der Felswand entlang aufstieg. Ein gespanntes Drahtseil diente als Handlauf und Sicherung zum Hammersbach hin, der sich hier etliche Meter tiefer mit Getöse zwischen den Felsen hindurchdrückte. Vor
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