Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
Vom Netzwerk:
Leibes werden von Rauchfahnen austretenden Blutes begleitet. Das Geschöpf windet sich nur noch schwach. Ballard schiebt es von sich. Ein Dutzend kleinerer Fische kommen ins Licht geschossen und beginnen an dem Kadaver zu zerren. An ihren Seiten leuchten Photophoren wie funkelnde Regenbogen.
    Clarke beobachtet das Ganze vom anderen Ende der Welt aus. Die Schmerzen in ihrer Seite nimmt sie nur von fern wahr: ein schwaches, gleichmäßiges Pulsieren. Sie schaut an sich herab – ihr Arm ist immer noch da. Sie kann sogar ohne Schwierigkeiten ihre Finger bewegen. Ich habe schon Schlimmeres erlebt, denkt sie.
    Und dann: Warum bin ich noch am Leben?
    Ballard taucht neben ihr auf, ihre linsenbedeckten Augen leuchten selbst wie Photophoren.
    »Mannomann«, sagt Ballard in verzerrtem Flüsterton. »Lenie? Geht es Ihnen gut?«
    Clarke denkt einen Moment lang über die Absurdität dieser Frage nach. Doch überraschenderweise scheint sie unverletzt zu sein. »Ja.«
    Und wenn sie sich irrt, dann weiß sie, dass es, verflucht noch mal, ihre eigene Schuld ist. Sie hat sich einfach ergeben. Hat auf den Tod gewartet. Ihn förmlich herausgefordert.
    Das hat sie schon immer getan.

    Schließlich sind sie wieder in der Luftschleuse, und der Wasserspiegel um sie herum sinkt. Und ebenso in ihrem Innern. Clarke kann endlich wieder ausatmen. Die Luft jagt durch ihren Körper, bläst ihre Lunge und ihre Eingeweide auf und hebt gleichzeitig auch ihre Stimmung.
    Ballard öffnet die Gesichtsversiegelung ihrer Taucherhaut, und die Worte sprudeln nur so über ihre Lippen. »Mann, Mann, Mann! Ich kann es nicht glauben! Mein Gott, haben Sie dieses Ding gesehen? Hier unten werden die so was von riesig!« Sie wischt sich mit den Händen über das Gesicht und nimmt die Hornhautkappen heraus, milchig weiße Halbkugeln, unter denen große haselnussbraune Augen zum Vorschein kommen. »Wenn man sich vorstellt, dass die normalerweise nur ein paar Zentimeter groß sind …«
    Sie beginnt sich auszuziehen, öffnet die Taucherhaut an den Unterarmen und redet dabei die ganze Zeit weiter. »Und trotzdem war es irgendwie zerbrechlich, wissen Sie? Mit einem ordentlichen Schlag konnte man es einfach zerfetzen! Himmel!« Im Innern der Station zieht Ballard stets ihre Taucherhaut aus. Wahrscheinlich würde sie sich sogar den Recycler aus der Kehle reißen, wenn das möglich wäre, und ihn zusammen mit der Haut und den Augenkappen in eine Ecke werfen, bis er das nächste Mal gebraucht würde.
    Vielleicht hat sie in ihrer Kabine sogar ihren anderen Lungenflügel versteckt, grübelt Clarke. Womöglich bewahrt sie ihn dort in einem Glas auf und setzt ihn sich nachts wieder ein …
    Ihr ist ein wenig schwindlig. Vermutlich sind es nur die Nachwirkungen der Neuroinhibitoren, die ihre Implantate produzieren, wenn sie hinausgeht. Ein geringer Preis dafür, dass mir das Gehirn nicht durchbrennt. Es sollte mir eigentlich nichts ausmachen …
    Ballard schält sich bis zur Hüfte aus ihrer Taucherhaut. Unter ihrer linken Brust ragt die Einlassöffnung des Elektrolyseurs aus ihrem Brustkorb.
    In Gedanken versunken betrachtet Clarke die durchlöcherte Scheibe in Ballards Haut. An dieser Stelle dringt der Ozean in unseren Körper ein, denkt sie. Irgendwie scheint dieses längst bekannte Wissen in diesem Moment eine ganz neue Bedeutung anzunehmen. Wir saugen das Wasser an, rauben ihm den Sauerstoff und spucken es wieder aus.
    Ein taubes Kribbeln breitet sich von ihrer Schulter ausgehend in ihre Brust und ihren Nacken aus. Clarke schüttelt den Kopf, um wieder klar denken zu können.
    Unvermittelt sackt sie gegen das Schott.
    Stehe ich unter Schock? Verliere ich das Bewusstsein?
    »Ich meine …« Ballard hält inne und mustert Clarke besorgt. »Mann, Lenie. Sie sehen ja furchtbar aus. Warum behaupten Sie denn, dass es Ihnen gut geht, wenn das gar nicht stimmt?«
    Das taube Prickeln erreicht Clarkes Schädelbasis. »Es geht mir … gut«, sagt sie. »Nichts gebrochen. Nur ein paar blaue Flecke.«
    »Unsinn. Ziehen Sie die Haut aus.«
    Mit Mühe richtet sich Clarke auf. Das taube Gefühl lässt etwas nach. »Nichts, womit ich nicht selbst fertig werde.«
    Fassen Sie mich nicht an. Bitte fassen Sie mich nicht an .
    Ballard tritt ohne ein Wort an sie heran und öffnet die Haut an Clarkes Unterarmen. Sie schiebt das Material zurück und enthüllt einen hässlichen, violetten Bluterguss. Mit hochgezogener Augenbraue blickt sie Clarke an.
    »Nur ein blauer Fleck«, sagt Clarke. »Ich kann

Weitere Kostenlose Bücher