Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
was auch immer nun mein Ende sein würde. Oh Scheiße, this ist my end!
» Haben Sie mal Feuer?«, meinte jene Frau freundlich zu mir, die nun nicht-nackt und mit einer Zigarette in der erhobenen Hand vor mir stand, genauso angekleidet, wie sie das Geschäft vor unausdenklichen Zeiten verlassen hatte, lächelnd als wäre zwischenzeitlich nichts geschehen. Und irgendwie war dies schrecklicher als alles, was ich erwartet hatte. Wenn ich auch an jenem Tage schon so einige Male das Gefühl gehabt hatte, an meinem Verstand zweifeln zu müssen, so waren diese Zweifel verglichen mit dem Sturm, der nun in mir losbrach, nur laue Winde gewesen. Denn das Leben und Treiben auf der Marktstätte um mich herum war so normal, wie es nur sein konnte, als hätte all das, was ich zuvor gesehen hatte, nie stattgefunden. Menschen bummelten von Schaufenster zu Schaufenster, sie saßen vor dem Café in der Sonne, Kinder rannten kreischend mit knallebunten Luftballons von McDonalds in der Hand durch die Fußgängerzone, und ihre Mütter sprachen derweil in ihre Handys. Imperia drehte sich, wie sie sich seit Jahren tagaus, tagein gedreht hatte, auf ihrem Podest am Hafen, durch nichts weiter bewegt als durch die Mechanik in ihrem Sockel. Und dann war da ja auch noch diese Frau, die mich um Feuer gebeten hatte und die noch immer, vollständig angezogen, vor mir stand und auf eine Reaktion wartete. Einige Augenblicke lang empfand ich diese Normalität grausamer als alle Schlammgestalten, Feuerwesen, grinsenden Clowns oder singenden Imperias zusammen. Denn nun nahmen die Zweifel an meiner geistlichen Gesundheit geradezu mythische Ausmaße an. So und nicht anders müssen sich die antiken Frevler gefühlt haben, wenn die Erinnyen hinter ihnen her waren. Wusste ich auch nach wie vor, dass ich mir all die Geschehnisse nicht eingebildet hatte, so wurde ich nun beinahe irre an einer Realität, in der alles möglich zu sein schien, die nicht mehr dem Satz vom Grunde, sondern dem Irrsinn gehorchte. Das war das Schlimmste, ich wurde nicht nur beinahe irre, in diesen Momenten begann ich sogar inständig zu hoffen, wahnsinnig zu werden, um mich gewissermaßen der kranken Logik um mich herum anzuschmiegen, denn in einer Welt des Irrsinns ist der Tor der Philosoph. Die Wahrheit wäre dann ein Licht, das nur der Narr erträgt, alle anderen werden irre mit ihrer so blinden Vernunft. Ich war beinahe so weit, mich begierig in den Schoß des Wahnsinns zu werfen, nur um meine Ruhe zu haben.
Doch dann wandte sich diese Frau, offensichtlich ungeduldig geworden, da ich ihrer Bitte nach Feuer nicht prompt nachgekommen war, von mir ab, und als sie davonging, da kroch eines dieser Wesen hinten aus ihrem Mantel hervor. Es sah beinahe so aus, als machte diese Gestalt es sich auf dem Mantelkragen bequem, wie es sich ein Müßiggänger am offenen Fenster bequem macht, seine Arme auf die Fensterbank legend. Einen Augenblick lang schien dieses Wesen mich interessiert zu mustern, dann winkte es mir zu, wie einer seiner Kameraden mir von der zusammensinkenden Imperia zugewunken hatte. Wer weiß, vielleicht war es sogar dieselbe Gestalt, und dann kicherte sie, und da, als sie zu kichern begann, regte sich plötzlich wieder mein natürlicher Selbsterhaltungstrieb. Nein! schrie es in mir, ich bin doch nicht so blöd, mich von euch irremachen zu lassen! Plötzlich war das Verlangen, endlich wieder ganz normal zu leben, ohne diesen ganzen Wahnsinn meine Tage zu verbringen, stärker als die Müdigkeit, die mich noch kurz zuvor, beinahe dem Sog des Wahnsinns hatte nachgeben lassen. Nein! Viel zu lange schon hab‘ ich mich widerstandslos von Katastrophe zu Katastrophe treiben lassen, wie Vieh zum Schlachthof, damit ist es jetzt vorbei! schrie es ihn mir. Ich war mehr als willens, endlich wieder die Initiative zu übernehmen. Und somit rannte ich los. Nun gut, ich versuchte, zu rennen, wollten meine Beine doch nicht so gehorchen, wie mein Wille es ihnen vorschrieb. Ich humpelte also Richtung Telefonzelle, humpelte, wie nur einer humpelt, der den Teufel hinter sich weiß, stürmte auf die Telefonzelle zu als sei sie ein geweihter Ort, eine Kirche, meine Erlösung von dem Bösen, doch als ich völlig außer Atem in die Telefonzelle hineinstürzte und den Hörer von der Gabel riss, da, ja, da merkte ich zu meinem völligen Entsetzen, dass ich die Telefonnummer der Unscheinbaren vergessen hatte. Und das gab mir den Rest. Ich brach in der Telefonzelle zusammen, sackte, den Hörer noch in
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