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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Boscher
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hatte, zu Nichts verdampft worden war.
    Im ersten Moment war diese Gestalt natürlich noch nicht als jene Frau zu identifizieren. Sie war ein Etwas, das sich von dem Matsch, aus dem sie entstieg, nur durch die aufrechte, an ein menschliches Wesen erinnernde Gestalt unterschied. Eine Aufhäufung schwarzer, dampfender Schlacke, der durch zufällige Sedimentation Auswülstungen wuchsen, die entfernt an Beine und Arme erinnerten. Dann klärten sich die Konturen, was aussah, als würde die äußere Hülle weggeschmolzen, bis nur noch der Kern übrig blieb. Dieser Kern, offensichtlich durch die Hitze noch flüssig, ein noch waberndes Gewebe aus Fleisch und Haut, stabilisierte sich zusehends. Einige Momente lang noch ekliger Fluktuation unterworfen, wobei etwa Augen, Nase und Ohren, eine Brust auf der flüssigen Oberfläche des Körpers schwammen, verlor die Gestalt schließlich den Charakter von etwas und wurde Mensch. Ein weiblicher Mensch, eine nackte Frau, und da hatte ich erkannt, welche Frau es war, die zwar noch ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber offensichtlich unversehrt auf mich zu kam. Einen Augenblick lang war meine Überraschung genauso groß wie die Furcht vor dem, was die sich nun als Nächstes einfallen lassen würden. Ich sah der Frau mit großen Augen entgegen. Unter ihren nackten Füßen zischelten die heißen Pflastersteine, was sie aber anscheinend nicht störte oder was sie überhaupt nicht bemerkte.
    Ich war von diesem Anblick gleichermaßen bis ins Innerste von Furcht durchdrungen wie fasziniert, ja, bis zur Erregung fasziniert. Dabei war das Außergewöhnlichste an dieser nackten Frau eben nur dieses, dass sie nackt war, unter diesen Umständen und an diesem Ort. Ihr entblößter Körper entbehrte aller besonderen Merkmale, war weder besonders wohlgestaltet, noch besonders hässlich, einfach ein nackter Körper, der an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, unter anderen Nackten vielleicht, eher unscheinbar und alles andere als faszinierend gewirkt hätte. Was mich an jenem Tage auf der Marktstätte vielmehr nachhaltig erregte, war das Gefühl der Überraschung selbst, welches mich nach dem Warum? fragen ließ.
    Während ich der Frau entgegenblickte, hatte ich das Gefühl einer Antwort auf die Frage, was das alles soll, warum es bei diesem Spiel ging, das die mit mir spielten, sehr nah zu sein. Als hätten die sich mit diesem überraschenden Spielzug eine Blöße gegeben, die es mir gestattet, ihren nächsten Zug vorherzusehen und sie auszubooten.
    Um es kurz und schmerzlos zu sagen: Ich fand die Antwort nicht. Warum hatten die sich diese Frau ausgesucht? Abgesehen von den Umständen war diese Frau genauso unscheinbar wie die Unscheinbare. Aber das war eine Analogie, keine Identität. Wer immer die Unscheinbare auch sein mochte, jene Frau auf der Marktstätte war sie nicht. Ging es etwa gar nicht um meine Unscheinbare? Das konnte ich nun wirklich nicht glauben, schließlich hatte all das Unheil mit ihrem Auftauchen angefangen und nicht mit dem Auftauchen irgendeiner Frau in meinem Leben.
    Und so verstrichen die Augenblicke so fruchtbar erscheinender Überraschung. Die nackte Frau hatte mich fast erreicht, und ich wurde wieder ganz von dieser furchtbaren Angst eingenommen, die es nahezu unmöglich machte, meine Gedanken auf die Lösung dieses grauenhaften Rätsels zu konzentrieren: Warum und von wem werde ich heimgesucht, und wie kann ich ihnen entkommen? Das Intelligenteste, was mir noch einfiel, war, es wieder mal mit der Telefonnummer der Unscheinbaren zu versuchen. Ich riss also meinen Blick von der Nackten los, die mittlerweile auf Griffweite herangekommen war, und sah in Richtung der Telefonzelle, von der aus ich unzählige Male versucht hatte, die Unscheinbare anzurufen.
    Einen schrecklichen Augenblick lang sah ich nichts. Also überhaupt nichts, außer so einer Art gegenstandslosem Raum um mich herum, keine Häuser, keine Menschen, rein gar nichts außer grau wabbernder Luft. Ich bin alleine mit dieser Frau und ihr völlig ausgeliefert! Denen völlig ausgeliefert! schoss es mir durch den Kopf. Mein Herz stockte. Und dann legte sich eine Hand heiß auf meinen Arm, und ich schrie, nein, ich wollte schreien, ich riss den Mund auf, aber kein Laut kam über meine Lippen, ich wollte davonlaufen, aber ich kam ich nicht vom Fleck, und so drehte ich mich endgültig geschlagen um, die nackte Frau erwartend oder die in flammender Gestalt oder ein Schlammwesen oder einen grinsenden Clown oder

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