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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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hinter dem Dom. Ein gelb verputzter Bau mit großen Rundbogenfenstern. Vom Domplatz her kam man auf den schmalen Schulhof, der sich zwischen der roten Backsteinmauer der gotischen Kirche und der Front des Gymnasiums bis zur alten Universität hinstreckte, unterbrochen von dem an die Dommauer geklebten überdachten Säulenbau, der die Gebeine von Immanuel Kant unter einer Granitplatte barg. Ein guter Einfall des Architekten, denn von den Säulen abgeschirmt, konnten wir, der Sicht des aufsichtführenden Paukers entzogen, in aller Ruhe eine Pausenzigarette stauben. Zwischen Dom und Universität führte eine schmale Pforte zum Pauperhausplatz und zur Dombrücke. Dort gab es eine kleine Pinte, in der unser Musiklehrer Bastian, ein liebenswürdiger, hochbegabter und beliebter Mann in der Zwölfuhrpause gern einen Klaren kippte und uns einen auslegte, wenn wir den Dittchen für den Schnaps nicht zur Hand hatten.
    Natürlich betrat ich die neue Schule und das Klassenzimmer im ersten Stockwerk, aus dessen hohen Fenstern man Kant als hohe sittliche Verpflichtung unter sich liegen sah, mit dem gleichen hohlen Gefühl im Magen, das ich schon beim ersten Schulwechsel empfunden hatte. Was für Leute würde man antreffen, und wie würde man von ihnen aufgenommen werden? Es ging besser als gedacht, denn einen von den Jungen kannte ich vom Sport her. Er war beim ASCO - dem Akademischen Sportclub Ostpreußen - und war im letzten Sommer auf der Aschenbahn im Bartensteiner Schützenpark gegen mich gelaufen. Weil er mich kurz vor dem Ziel noch abgefangen hatte, entsann ich mich sogar seines Namens. Er hieß Helmut Dietrich, und seinem Vater gehörte eine Goldgrube, nämlich eine mit einem Stehausschank verbundene Schnapsdestille gleich neben der Schmiedebrücke. Gegenüber am Kai lagen dicht bei dicht die Kurenkähne, die die gute Butter und den fetten Tilsiter Käse aus der Memelniederung heranbrachten. Da hatte Vater Dietrich wegen mangelnder Kundschaft keine Klagen zu führen. Helmut haute mir gleich freundschaftlich auf die Schulter, keilte mich mit dem ersten Satz für seinen ASCO, der mir wegen des dekorativen Brustringes mit dem Adler auf dem Trikot schon lange imponierte, und übernahm dann die Vorstellung. Achtzehn neue Namen, zu viele, um sie schon am ersten Tag dem Gedächtnis einprägen zu können. Fitti Konopka, Helmut Monska, Arthur Pukall, Konrad Rudowski, Benno Schereschewski, Kaminski, Freier, Wiersbitzky, Krehwald... Nun, ich lernte sie rasch. Eine Woche lang beschnupperten wir uns wie junge Hunde. Pukall, der hatte es mit dem Bibelkränzchen und verlor den frommen Augenaufschlag erst nach dem Abitur - dann aber gründlich. Lischewski wollte die höhere Postkarriere einschlagen. Der Vater von Konrad Rudowski besaß in der Mehlauker Gegend ein Sägewerk und traktierte uns, wenn er seinen Filius besuchte, im Börsenkeller mit doppelstöckigen »Kurfürstlichen Magern, die nach dem sechsten verheerende Wirkungen zeigten. Fitti Konopka, der an einem diskreten Körperteil so überdimensioniert gebaut war, daß er die Empfehlung eines Frauenarztes in Anspruch nehmen mußte, um die Dame zu finden, die zu seiner Dimension paßte. Er ging zum Polizeidienst. Einmal traf ich ihn nach langen Jahren in der Nähe des Anhalter Bahnhofs. Wir tranken in einer Pinte einige Mollen und die Kurzen dazu, er wurde von Molle zu Molle immer schwermütiger und wollte sich aufhängen. Er tat es auch, aber es glückte nicht, er riß im Abtritt mit der Kette, die er sich um den Hals geschlungen hatte, nur den Wasserkasten der Spülung herunter. Wenig später traf ich ihn als den glücklichsten Menschen der Welt wieder. Da hatte er, wie gesagt, mit Hilfe eines Frauenarztes...
    Nach kurzer Zeit fanden wir Wohlgefallen aneinander, und sie nahmen mich sogar in den »Comment Olymp« auf. Das war ein liebenswürdiger kleiner Saufverein mit einer uralten Tradition, seit Generationen verboten, aber immer wieder wie ein Phönix aus der Asche steigend. In den alten Statuten fanden wir die Namen von zwei unserer Professoren, die dem Comment vor vierzig und mehr Jahren angehört hatten. Das war ein Grund zum Feiern. Wir zogen die Kommerse einmal im Monat in den Hinterzimmern Kneiphöfischer Bumskneipen ab, die oftmals abenteuerliche Namen hatten - >Zum Abgehackten« oder »Zur eisernen Sau<... In den Vorzimmern süffelten die Damen des horizontalen Gewerbes, die ihre Standquartiere zwischen Magisterstraße und Kohlmarkt hatten, mit ihren Beschützern. Ihren

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