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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Auf dem Kalenderblatt stand heute ein Wort von Wilhelm von Humboldt: >Nur, was die Vergangenheit gewährt, ist ewig und unveränderlich - wie der Tod, und zugleich wie das Leben, warm und beglückende
    Ja, warm und beglückend selbst dann, wenn die durchlebte Vergangenheit durchaus nicht immer warm und beglückend war. Unser Gedächtnis hat eben die merkwürdige, aber liebenswerte Eigenschaft, auch über die Erinnerungen an dunkle Tage und schlimme Erlebnisse einen zärtlichen Schleier zu breiten. Auch über die bösen Hungerjahre, in die wir - obwohl wir durch Herrn Hoffmann bereits in der Vorschule darüber unterrichtet worden waren, daß Ostpreußen des Deutschen Reiches Kornkammer sei -, in eben dieser Kornkammer lebend, schon nach dem zweiten Kriegswinter hineingerieten.
    Noch im Sommer und Herbst 1915 zogen die fliegenden Fischhändler, solange die Männer noch nicht eingezogen waren, paarweise durch die Straßen, der Mann den Handkarren schiebend, die Frau die Ware aussingend: Eiiii Botterfisch - eiii Broatfisch - eiiii Botterfisch! Oder: Strömlinge wie Maräne Ströhömling! Oder: Eiii Speckflundre -eiii Broatflundre - eiii Speckflundre! Die langgezogenen Rufe drangen wie die getragenen Töne eines Pistons bis in die entferntesten Winkel der Häuser. Aber dann blieben die fliegenden Händler aus, und Mutter mußte sich zum Fischmarkt in die Altstadt zwischen Krämer- und Schmiedebrücke bemühen, wenn sie etwas auf den Tisch setzen wollte. Daß sie nicht gerade fein waren, diese Fischweiber, die dort im Winter mit Kohleöfchen unter den weiten Röcken vor den Kurenkähnen saßen, war bekannt. Darüber kursierten die dreistesten Geschichten. Die Damen von Mutters Kaffeekränzchen erzählten sie sich hinter der vorgehaltenen Hand mit innigem Vergnügen. Trotzdem war Mutter zutiefst empört, als sie eines Tages beim Einkauf eines großen Dorsches naserümpfend feststellte, daß dieser bereits ungut röche, und die Fischfrau ihr zunächst einen braunen Priemstrahl von die Füße setzte und danach seelenruhig erklärte: »Fräuleinchen, wenn Sie dem Dorsch am Arsch riechen, da stinken Sie auch.« - Dabei bin ich nicht ganz sicher, daß es die verbale Grobheit war, die Mutter so sehr empörte, sondern daß sie in ihren Jahren mit dem breit blitzenden Ehering am Finger von dem Fischweib als >Fräuleinchen< angeredet worden war.
    Mutter war eine fabelhafte Fischköchin, und solange es Fische gab, zauberte sie, obwohl Butter und Schmalz bald Raritäten wurden, drei- oder viermal in der Woche Fischklopse, Dorsch in holländischer Soße, Flundern in Dill, eine köstliche Suppe aus Kaulbarschen und dann und wann auch gebratene Strömlinge auf den Tisch. Ich hatte einen Klassenkameraden namens Werner David, den die Natur wunderbarerweise mit einem blauen und mit einem braunen Auge ausgestattet hatte. Dessen Vater nun besaß in der Bülowstraße in der Nähe vom Sackheimer Tor eine Molkerei, und in der Stadt gehörte ihm ein halbes Dutzend Milch- und Käseläden. Und weil ich so blaß und mickerig aussah, steckte mir Frau David häufig aus Mitleid ein Stück Butter oder einen Keil Tilsiter Käse heimlich in den Ausschnitt der Kieler Bluse. Vater David war nicht so spendierfreudig. - Mutter sah diese Freundschaft mit dem Molkereibesitzerssohn nicht ungern. Damals begann ihre kleine Industrie zu blühen, die uns in den schlimmsten Hungerjahren, die allzubald folgten, über manche Not hinweghelfen sollte. Sie strickte aus weißem Zwirn mit der Rundnadel ziemlich zwecklose, aber zauberhaft anzuschauende Gebilde, winzige Deckchen, als Tassen-, Vasen- oder Kannenuntersätze verwendbar. Später, als die Not größer und größer und die guten Beziehungen immer wichtiger wurden, wuchsen diese Handarbeiten zu Riesenformaten. Und obwohl alles knapp wurde, scheint Mutter niemals Schwierigkeiten gehabt zu haben, sich das weiße Garn, das sie kiloweise verbrauchte, zu besorgen. Frau David jedenfalls war von Mutters Strickdeckchen höchst angetan und revanchierte sich mit Fettigkeiten. Nur mußte Mutter sich hüten, Vater gegenüber von solchen Geschäften auch nur ein Wort zu verlieren, denn sein strenges Rechtsbewußtsein hätte sich gegen solche Tauschgeschäfte aufgelehnt. Nachdem er für den aktiven Dienst mit der Waffe im Siebziger-Krieg leider noch zu jung gewesen und für diesen zu alt geworden war, gebot es ihm die vaterländische Pflicht, zum Sieg über die Feinde von Kaiser und Reich wenigstens dadurch beizutragen, daß er

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