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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Ragutzki ihren Kaffee tranken und dazu mitgebrachten Streuselkuchen aßen, waren die alten Friedhöfe eingeebnet worden. Da türmte sich jetzt, acht Stockwerke hoch, der >Handelshof< empor, und Dr. Goldstein, mein späterer Gönner von der >Hartung’schen Zeitung<, hatte einen Zweizeiler gedichtet, der in Goldbuchstaben über der Eingangshalle stand:
    »So wie ich wuchtig und fest erstand auf dem Staub eines Friedhofs,
    so auch erblühe mein Land aus den Ruinen der Zeit.« Und im Treppengeländer zum letzten Stockwerk war in schmiedeeisernen Buchstaben die Warnung angebracht: »Hooldi am Tuhn- de Himmel es hooch...« Der alte gemütliche Kranzer Bahnhof war einem pompösen Neubau gewichen. Zum Tragheimer Tor hin zog sich mit Ausstellungshallen und einem Riesenrestaurant das Messegelände hin, und die namenlose Straße zu den Hufen und nach Amalienau hieß jetzt recht eindrucksvoll Hansaring. Und der Oberbürgermeister hatte die Gunst der Stunde genutzt und einen supermodernen Hafen bauen lassen, mit Inflationsgeld, denn inzwischen taumelten wir in die zwölfstelligen Zahlen hinein. Eine Batschari kostete am Bahnhofskiosk fünfzig Milliarden, und die Zehnerpackung eine halbe Billion. Mit den Milliarden und Billionen hatte ich allerdings wenig zu tun, die bündelten sich in den Taschen anderer Leute. Nur manchmal, wenn die Stauer im Hafen streikten, stellte es uns Primanern der Chef des Stadtgymnasiums, Dr. Mentz, anheim, vaterländischer Pflicht zu genügen und verderbliche oder lebenswichtige Ladungen im Hafen zu löschen. Ich war einmal dabei. Polizei geleitete uns Streikbrecher am frühen Morgen durch enge Nebengassen zum Packhof, wo der Frachter lag. Nicht früh genug, denn die streikenden Stauer bildeten bereits ein wütendes Spalier und schmissen uns außer unflätigen Flüchen auch Knüppel und Steine nach. Und für den Heimweg sorgte leider keine Polizeieskorte.
    Es war ein schwedischer Frachter. Wir löschten Rundhölzer für die Zellulosefabrik und schufteten bis zum Umfallen. Der Steuermann war mit uns zufrieden, er meinte, soviel wie wir hätten die Stauer nicht geschafft. Kunststück, die schufteten ja auch nicht einmal im Jahr, sondern Tag für Tag und teilten ihre Kräfte ein. Gegen Mittag war den meisten von uns das Kreuz gebrochen. Nur Pulinna und Handtke hielten durch, zwei Jungen vom Land, die in den ganzen voraufgegangenen mageren Jahren von daheim reichlich mit Freßpaketen versorgt worden waren. Beide waren mit mir neu zu der Klasse gestoßen, aber sie waren klebengeblieben und mußten die Unterprima wiederholen. Handtke übrigens bestand mit uns zusammen das Abtitur, studierte Jura, wurde Rechtsanwalt und, bald nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, durch das Fallbeil hingerichtet. Er war in irgendwelche Devisengeschichten verwickelt gewesen. Vater, von Hitler zunächst recht angetan, weil da einer gekommen war, der für Recht und Ordnung sorgte, muß dieses Todesurteil einen schweren Stoß versetzt haben. Er schrieb mir, für sein Vergehen hätte Handtke in normalen Zeiten nicht einmal eine Verwarnung von der Anwaltskammer bekommen, und er setzte hinzu, er fürchte, daß wir unter dem Hitler noch allerlei erleben würden.
    Damals rollte er neben mir die Rundhölzer aus Schweden, die die Dampfwinde aus der Ladeluke hievte und auf den Kai warf, zum Stapelplatz, wo andere sie in Empfang nahmen und zur Verladung aufschichteten, denn es streikten nicht nur die Stauer, sondern auch die Arbeiter von der Zellulosefabrik. Wer nicht mehr konnte, machte mit halber oder viertel Kraft weiter, denn es kam darauf an, das Hafengelände geschlossen zu verlassen. Ich kam mit drei Dollar in der Tasche heim. Es war ein Vermögen. Trotzdem war mir das Streikbrechen für die Zukunft verleidet, denn mein linker Arm war durch einen Knüppelhieb übers Schlüsselbein tagelang unbrauchbar, und ein Steinwurf hatte mir das Nasenbein deutlich nach links verschoben. Als ich es merkte, war es zu spät, um den Knochen noch zu richten. - »Vielleicht haben Sie Glück und kriegen mal eins von der anderen Seite über den Zinken gebraten«, sagte der Dr. Schmidtke, den ich aufsuchte, weil er den ASCO als Sportarzt betreute und aus mir ein Sprinter-As machen wollte. Ich hatte Glück. Zu viel Glück. Und es >briet< mir auch keiner eins über die Nase, sondern es passierte beim Holzspalten, daß mir ein Keil gegen den Zinken flog. Leider allzu kräftig, denn von da ab zeigte der Knick nach rechts.
    Das Stadtgymnasium lag

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