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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Seite lag seine Werkzeugschürze, als würde sie auf ihn warten. Der Rest war ein Durcheinander aus verbeulten Arbeitshandschuhen und Plastikbechern voller Schrauben, aus aufgerollten gelben Nylonschnüren, einer Handschleifmaschine, Farbsprühdosen und WD-40, Nägeln in zerknitterten Papiertüten, Holzkitt, einer verkrusteten Spritzpistole, Wespenspray, alten Einschraubsicherungen, eingerissenem Schleifpapier, Farbrührern aus dem True Value in Mayville, einer verbogenen Klampe, einem Kanister 3 IN 1-Öl, einem zerkratzten Golfball und einer dunklen Glühbirne. Emily widerstand der Versuchung, irgendwas davon zu berühren, stand da, atmete den Geruch ein und genoss das Durcheinander. Sie würde Kenneth fragen, ob er das Werkzeug haben wollte. Wahrscheinlich würde er alles mitnehmen, nur damit nichts weggeworfen wurde. Er kam ganz nach ihr.
      Drinnen durchforstete Arlene die Schränke. «Wo ist die Schale, in die wir immer das Obst gelegt haben?»
      «Das ist die grüne.»
      «Ist das die richtige?»
      Emily sah über der Geschirrspülmaschine und links vom Herd nach, dann auf dem Drehtablett unter der Arbeitsplatte. «Die hier.»
      «Ich kann mich nicht erinnern, dass es die war. Aus irgendeinem Grund dachte ich, sie wäre orange.»
      «Ist es noch viel?», fragte Emily.
      «Nein, das war's.»
      «Hast du was dagegen, wenn ich vor dem Essen kurz zum Steg gehe?»
      «Geh nur. Hier ist sowieso nicht genug Platz für uns beide.»
      Der Wind wehte vom See herüber und kräuselte leicht das Wasser. Unter der Kastanie war es kühl, doch als sie den Steg betrat, erwärmte sich ihr Gesicht. Der Wasserstand war ein, zwei Meter niedriger, der See voller Unkraut. Auf dem Grund funkelten perlmuttfarbene Muscheln. Rufus lag ausgestreckt da und hob den Kopf, um zu sehen, wer kam. Das Boot stieß platschend gegen die Anlegestelle, und die Leinen knarrten. Die schöne lachsfarbene Abdeckplane, die Henry gekauft hatte, war voller Möwenkot. Die Käufer hatten ein eigenes Boot, deshalb hatte Mrs. Klinginsmith vereinbart, dass Smith Boys in Ashville es zum Ausschlachten kaufte. Emily hatte sich nicht widersetzt. Das Boot war fast dreißig Jahre alt, und der Außenbordmotor gab regelmäßig seinen Geist auf. Komisch, von wie vielem sie sich jetzt trennen konnte - wie wenigem eigentlich.
      Sie erreichte den breiten L-förmigen Steg und ging um Rufus herum, um sich auf die Bank zu setzen. Er stand auf und legte sich vor ihre Füße. Sie bückte sich und streichelte ihn, kraulte ihn geistesabwesend hinter den Ohren.
      «Du bist sicher froh, dass du nicht mehr im Auto liegst. Ja.»
      Er sah sie an, als hätte sie etwas ungeheuer Wichtiges gesagt. Seine Augen waren verschleiert vom grauen Star; in letzter Zeit stieß er öfter gegen Türen. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn er sein Wasser nicht mehr halten konnte.
      «Dir geht's gut», sagte sie. «Alles in Ordnung.»
      Auf dem nächsten Steg strich der Wind über eine Holzente, deren Flügel sich langsam in entgegengesetzter Richtung drehten, wie bei einer Uhr, die verrückt spielte. Emily lehnte sich zurück und blickte zum anderen Ufer. Es war so trocken gewesen, dass sich bei einigen Bäumen bereits die Blätter verfärbten, doch sie waren nicht leuchtend rot, sondern hatten einen matten, kraftlosen Farbton. Sie fragte sich, ob die Bäume eingehen oder sich wieder erholen würden, und begriff dann, dass sie es nie erfahren würde. Sie konnte sich an einen umgestürzten Redwood erinnern, den sie mal vor einer Ewigkeit in Kalifornien gesehen hatten, auf einer verwegeneren Reise, als die Kinder noch klein waren. Die Jahresringe waren unterschiedlich dick gewesen; die dünnsten hatten auf Dürrejahre hingedeutet. Vielleicht würde auch dieses Jahr so sein, und das nächste war wieder besser.
      Sie blickte auf die Wellen hinaus, als könnten sie ihr eine Antwort geben. Rufus setzte sich auf, schob seine feuchte Schnauze unter ihre Hand. Er hatte kein Frühstück bekommen, und jetzt, wo er nicht mehr im Auto lag, war er hungrig.
      «Ich weiß», sagte sie, «du warst sehr geduldig.»
      Nächstes Jahr musste einfach besser werden.
      Sie war so in Gedanken, dass sie aufgehört hatte, Rufus zu streicheln. Er hatte sich umgedreht und dem See zugewandt, und als er den Kopf zurücklegte und sie fragend anblickte, schien er zu schielen. Die Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul, und Emily fragte sich, wie er gegenüber der Welt immer

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