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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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wiederkommen und ihn noch einmal überraschen? Und wenn nicht, was dann? Würde er werden wie sein Vater, im Stillen damit beschäftigt zurechtzukommen, so ruhig und stoisch, dass er unergründlich wirkte, losgelöst von allem außer seinen Gedanken und dem neuesten Projekt an seiner Werkbank?
      Er hatte nur eine Kamera mitgebracht - die Nikon. Die Holga war bloß aus Plastik, die zählte nicht. Durch sie sollte er lernen, sich auf sein Auge zu verlassen oder, noch besser, auf seinen Bauch. Ihr schlichter Aufbau sollte ihn dazu bringen zu sehen.
      Was er sehen würde, war das Sommerhaus. Die Veranda, der See. Das würde er sich zur Aufgabe machen, als wäre er wieder an der Universität. Zwanzig Rollen schwarzweiß, zwanzig Rollen Farbe. Eine Woche voller Licht, wenn das Wetter es zuließ. Früher hätte ihn das einmal erfüllt.
      «Habt ihr die Schuhe an?», fragte Lise.
      «Ja», antworteten sie.
      «Mom?», fragte Sam.
      «Was ist?»
      «Zählt ein Game Boy als Videospiel?»
      «Ja», sagte Lise.
      «Ella hat gesagt, es ist keins.»
      «Hab ich nicht»
      «Auf dieser Reise ist es eins», sagte Lise.
      Aus Protest seufzte Sam tief.
      «Hört mal.» Lise drehte sich um und warnte beide mit erhobenem Zeigefinger. «Wir sind hier, um Grandma zu besuchen, und nicht, um Videospiele zu spielen. Ich erwarte, dass ihr höflich seid und mithelft. Und Sam, von dir will ich kein Seufzen mehr hören. Wenn dich jemand um etwas bittet, tust du es. Klar? »
      «Ja», sagten beide.
      «Danke.» Lise blickte wieder nach vorn. «Das gilt auch für dich, Freundchen.»
      «Jawohl», sagte Ken.
      Zu ihrer Rechten glitt ein Farmstand vorbei, vor dem sich mehrere Kleinbusse drängten. KUCHEN, stand auf einem handgeschriebenen Schild. Er dachte, dass sich dort vielleicht ein Motiv finden ließe - die schräg geparkten Autos, die geschnittenen Orchideen in einem weißen Eimer -, konnte aber keins entdecken und fragte sich, ob alle Urlaubsorte so schmerzlich vertraut waren.
      «Gibt es Kuchen zum Nachtisch?», fragte Sam.
      «Hättest du gern Kuchen zum Nachtisch?», entgegnete Lise.
      «Ja.»
      «Da ist noch einer», sagte Ken und nutzte ihre gute Laune aus.
      «Wie wär's, wenn wir Grandma mit einem Kuchen überraschen?», fragte Lise. «Was für einen sollen wir nehmen?»
      «Apfel!», rief Sam.
      «Ella-bella?», fragte Lise.
      «Ist mir egal. Nur keinen Pfirsichkuchen.»
      Er parkte hinter einem anderen Geländewagen, der aus Virginia stammte. Ella blieb im Wagen, während sie sich aufteilten. Sam ging direkt zu den Kuchen, die in den Fächern einer altmodischen Riesenvitrine aufgereiht waren, alle in mit Drahtclips verschlossenen Plastiktüten, auf einem winzigen Zettel die Zutaten aufgelistet. Sam musste sich auf die Zehenspitzen stellen. Ken fand die Kuchen teuer, doch nach dem Fiasko am Geldautomaten wollte er die Sache nicht aufbauschen. Sie hatten seinen Lieblingskuchen, Kirsch mit Gittermuster. Lise hatte ihm zu Weihnachten so einen gebacken.
      «Was ist Pecktin?», fragte Sam.
      Ken musste zugeben, dass er es nicht wusste. Vielleicht wusste es Mom. Sam sah sich alle Apfelkuchen genau an und schnappte sich dann mit beiden Händen den größten.
      Sie fanden Lise beim Obst und Gemüse. Pektin war so was Ähnliches wie Gelee; es hielt die Kuchenfüllung zusammen, wie ein Verdickungsmittel. «Seid ihr so weit?»
      Er hob eine Flasche Grad A-Ahornsirup hoch, um den Preis untendrunter zu lesen.
      «Ich glaube, das nennt man Zeitschinden», sagte sie.
      «Da hast du wohl Recht.»
      Während sie daraufwarteten, dass das Mädchen den Kuchen eintippte, legte Lise einen Strauß Wildblumen auf den Tresen. «Fürs Haus.»
      «Ein Friedensangebot.»
      «Es kann nicht schaden», meinte sie.
      «Wir haben Apfel genommen», verkündete Sam im Wagen und hielt den Kuchen auf dem Schoß.
      «Na toll», sagte Ella, aber die allgemeine Stimmung war umgeschlagen, alle lachten über sie und machten sich lustig über ihre düstere Miene.
      «Schätze, du willst nichts davon haben», sagte Lise.
      «Das hab ich nicht gesagt.»
      «Mmmm», machte Ken, «Pektin!»
      Sie fuhren los, hinter ihnen stieg ein Gespenst aus Staub auf und verschwand wieder, als sie auf die Straße bogen, als hätte es die Verfolgung aufgegeben.
      Es waren nur noch zwei Kilometer, da lohnte es sich nicht, um eine neue CD zu bitten. Er hatte sich seit

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