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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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noch so offen, so willfährig sein konnte.
      «Du bist wirklich ein Dussel», sagte sie.
      Sie spürte den kantigen Schädel unter ihren Fingernägeln, die Streichrichtung seines Fells. Die Sonne schien, aber es wehte ein heftiger Wind, die Flügel der Ente drehten sich und durchschnitten die Luft wie Propeller. Emilys Haare peitschten ihr ins Gesicht.
      «Komm», forderte sie ihn auf, erhob sich und ging mit ihm zusammen zum Haus zurück. Arlene brauchte Hilfe beim Mittagessen.
     
     
* 2
     
    «Da ist er!», rief Lise den Kindern zu. Ken wandte den Blick von der Straße, als würde er ihr gehorchen.
      Unterhalb von ihnen, mehr als einen Kilometer entfernt, erstreckte sich im schräg einfallenden Nachmittagslicht weit und silbern das Wasser, ein Boot zog eine schwarze fächerförmige Spur. Bäume blitzten auf und versperrten die Sicht, ein Wall aus Bäumen, dann eine Lücke, noch eine Lücke. Dann herrschte wieder freie Sicht, und über einen Weinberg hinweg konnten sie weit hinausblicken, ein richtiges Kalenderfoto.
      «Wacht auf», sagte Lise, «ihr verpasst ja alles!»
      Ken sah im Rückspiegel nach ihnen. Sie waren groggy vom Schlafen. Durch ihre neue Zahnspange hatte Ella aufgeworfene Lippen. Sie streckte die Hände über den Kopf und stöhnte. «Ja, ja.»
      «Juchhu», sagte Sam mit unbeweglicher Miene.
      «Zieht euch schon mal die Schuhe an», forderte Lise sie auf, obwohl sie noch zwanzig Minuten im Wagen sitzen würden.
      Ken staunte, wie gelassen sie sein konnte. Es lag nicht bloß an seiner Mutter (sein Vater, das Sommerhaus, die ganze Reise) und auch nicht an dem Job, obwohl er darauf gefasst war, von seiner Mutter ausgelacht zu werden wegen der Ironie, dass ausgerechnet er den ganzen Tag lang die Fotos anderer Leute entwickelte, und zu hören, das geschehe ihm ganz recht, weil er bei Merck gekündigt habe. Dann würde Lise nicht mehr zu bremsen sein, und dann gute Nacht.
      Es lag an allem. Obwohl er wusste, dass es nur vorübergehend war, hatte er auf der ganzen Fahrt von Boston an Geld gedacht. Auf dem Weg aus der Stadt hatten sie an einem Geldautomaten gehalten, und er hatte festgestellt, dass sie auf ihrem Girokonto im Soll standen. Das verstand er nicht. Er hatte ihre Rechnungen genau im Auge behalten. Er war sich sicher, dass er ein ausreichendes Polster geschaffen hatte.
      «Ich benutze die Karte zum Kauf von Lebensmitteln», hatte Lise gesagt. «Wahrscheinlich liegt es daran.»
      «Ja», hatte er geantwortet, «das könnte hinkommen.»
      «Wir müssen doch was essen.»
      «Ich weiß», hatte er leidenschaftslos gesagt, «ist schon in Ordnung», denn er hatte gemerkt, dass Sam und Ella auf dem Rücksitz lauschten und sein Versagen offenbar wurde.
      So sollte die Reise nicht beginnen. Er hatte fünfhundert Dollar vom Sparbuch abheben müssen, und jetzt ging ihm der Kontostand nicht aus dem Kopf. Sein nächster Scheck vom Fotolabor war erst Anfang des Monats fällig.
      Zum Teil lag es offenbar an dem Sommerhaus. Den ganzen Juli hatte er an seinen Vater gedacht, an die Einschränkungen in dessen Leben, daran, ob er glücklich gewesen war. Am schwersten war zu verstehen, warum er mit ihrer Mutter zusammengelebt hatte, denn beide waren völlig gegensätzlich gewesen.
      «Ich weiß nicht, wie er das geschafft hat», hatte er gesagt. «Wie viele Jahre ? »
      Lise hatte lachend nachgerechnet. «Achtundvierzig?»
      «Ich hätte es mit ihr keine fünf Minuten ausgehalten.»
      Das Komische daran war, dass er und sein Vater sich sehr ähnlich waren, was Ken so lange wie möglich abgestritten hatte und Meg unter vier Augen immer wieder zur Sprache brachte. Einmal, als sie bekifft gewesen war, hatte sie ihn am Telefon damit aufgezogen: «Mein Gott, du bist schon genau wie er!» Nur der Gedanke, wie verletzt Meg sein würde, hatte ihn davon abgehalten, mit vollem Ernst zu entgegnen: «Und du bist genau wie sie.»
      Lise hätte mit ihrer Familie eine Woche nach Cape Cod fahren können, hatte sich aber bereit erklärt, ein letztes Mal mitzukommen. Jetzt, wo sie die Veterans Bridge überquerten und versuchten, die Fähre nach Stow zu entdecken - da lag sie, neben dem alten Kasino in Bemus Point, sie nahm gerade Autos an Bord -, zog sich Lise ein bisschen aus der Verantwortung. Sie wusste, wie wichtig diese Woche für seine Mutter war.
      «Hör mal», sagte sie. «Ich weiß, dass du dich aus dem Staub machst, sobald wir da sind.»
      «Tu ich

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