Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
Empfangstresen stieß,
Luft holte und auf die Glocke einhämmerte.
»Der
Dolmus hat nicht gehalten, junge Frau, dabei habe ich mich mitten auf die
Straße gestellt und mit beiden Armen gewinkt! Und haben Sie sich mal die Küche
in dem Lokal angesehen, das Sie mir empfohlen haben? Speiübel ist mir geworden,
mein Geld habe ich zurückverlangt!«
Derya
entschuldigte sich artig und fragte sich, wie Frau Wohlschlegel es geschafft
hatte, in die Küche ihres Cousins, der diesen Ort wie ein Heiligtum hütete,
vorzudringen.
Jetzt
stand Frau Wohlschlegel vor Seda und Derya und deutete mit ihrem Wanderstock
auf den Menschenauflauf vor dem Hotel.
»Sie
fragen mich, was Sie für mich tun können, junge Frau? Ich kann Ihnen sagen was
Sie tun können! Sie könnten mir erklären, wie es sein kann, dass ich ein
kleines Vermögen für einen ruhigen Urlaub in einem makellosen deutschen Club
hinblättere und mich nun bedrängt und genötigt sehe von… ja, sagen Sie mir, was
sind das für Gestalten? Da links, was ist das für eine Horde junger Männer, die
mit den blau-rosa Fahnen? Da kriegt man ja Angst!«
» Yilan !«,
zischelte Seda unhörbar. Vor dieser Schlange musste man sich fürchten, nicht
vor dem Bütte-Erkenroytzer Fanclub Wild Boys of Roytz.
»Frau
Wohlschlegel, der Aufruhr wird sich alsbald gelegt haben, wir bitten um
Verständnis. Gleich kommen die Spieler vom SV Bütte-Erkenroytz an, dann gibt es
noch einige Minuten lang Interviews, Autogramme und solche Dinge, und dann
herrscht hier wieder Ruhe«, erklärte Derya ruhig und wünschte sich, sie hätte
vor zwei Tagen, als sie Frau Wohlschlegel in das lokanta ihres Cousins
geschickt hatte, schon genauer gewusst, was für ein Mensch sich hinter diesem
speziellen Horrorgast verbarg. Ihr Cousin hätte ihr eine wundervolle und sehr
spezielle Portion mercimek
corbasi vorgesetzt!
»Es
ist mir vollkommen gleichgültig, junge Frau, was gleich sein wird! Ich
möchte jetzt, jetzt sofort zu meinem Strandspaziergang aufbrechen! Meinen Sie
ernsthaft, ich möchte mich durch dieses Gewühle drängen, mit irgendwelchen
Kameras kollidieren? Haben Sie schon einmal eine Fernsehkamera an den Kopf
bekommen? Ich auch nicht, aber ich stelle es mir äußerst schmerzhaft vor,
äußerst. Ich bekleide eine anspruchsvolle Position, ich leite einen Betrieb und
brauche meinen Kopf noch, das können Sie mir ruhig glauben!«
Derya
und Seda sahen sich an. Beide dachten an die Touristin, die im vergangenen
Sommer enthauptet im Pool des Emir Palace gelegen hatte.
»Ich
fordere Sie auf, dem Treiben dort draußen sofort ein Ende zu bereiten, damit
ich meines Weges ziehen kann!«
Zur
Bekräftigung rammte Gesa Wohlschlegel erneut beide Wanderstöcke in den Boden.
»Frau
Wohlschlegel, ich bitte Sie, haben Sie für einen kurzen Moment Geduld!«, bat
Seda. »Und wenn Sie am Strand spazieren gehen wollen, dann wäre es doch ohnehin
besser, wenn Sie hinten am Pool vorbei durch den Palmengarten gehen. Neben der
Strandbar ist der Ausgang und Sie stehen direkt im Sand!«
»Mir
ist bewusst, dass sich dort ein Ausgang befindet, denn so groß ist die
Clubanlage nun auch wieder nicht. Sie ist, um genau zu sein, viel kleiner, als
ich nach der Ansicht im Katalog vermutete, aber sei’s drum. Faktum ist, dass
ich immer den Haupteingang benutze, ich bin schließlich nicht irgendein
Kellerkind, das sich verstohlen an Dienstboteneingängen herumdrückt.«
Der
Lärm vor dem Hotel schwoll an, offensichtlich hatte man den Mannschaftsbus
gesichtet. In diesem Moment erblickte Seda Kadir, der mit seinem Mitarbeiter
Hüseyin durch die Halle auf die Schiebetüren zulief, um den wohlgeordneten
Einzug der Spieler zu überwachen.
»Kadir,
Kadir, bleiben Sie bitte einen Moment stehen, ich flehe Sie an!«
Seda
eilte hinter dem Tresen hervor und rannte zu den beiden Sicherheitsleuten.
»Sie
schulden mir ungefähr eintausend Gefallen, und jetzt ist der Augenblick
gekommen einen Teil der Schuld einzulösen!«
Seda
griff Kadirs Ärmel, um ihn an der Flucht zu hindern. Kurz erläuterte sie den
Männern die Situation. Hüseyin blickte zweifelnd zu der Frau mit den
bordeauxroten krausen Löckchen und dem entschlossen vorgereckten Kinn. Sie steckte
in einem sandfarbenen Safarianzug mit einer Unzahl von aufgenähten Zebras und
Elefanten, die ihr als Taschen dienten, in denen sie ihre Gesteins- und Muschelsammlung
unterbrachte. An den Füßen trug sie klobige Wanderschuhe, die für den Einsatz
im hochalpinen Bereich bestens geeignet
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