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Absender unbekannt

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Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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fast als Jahrgangsletzter abgeschlossen. Hat seine Jura-Ausbildung in Suffolk nur bis zur Hälfte geschafft. Ist zweimal durchgefallen, bevor er die Zulassung als Anwalt bekam. Er ist überhaupt nur zur Staatsanwaltschaft gekommen, weil Diandra Warrens Vater seine Beziehungen spielen ließ, und anfangs hatte er keinen besonders guten Ruf. Dann, 1975, wird er plötzlich zu einem Tiger. Er verdient sich Respekt,
und das beim Schnellgericht, weil er sich weigert, inoffizielle Absprachen zu treffen. Er steigt auf in die nächste Instanz, da geht es so weiter. Langsam haben die Leute Angst vor ihm, und die Staatsanwaltschaft übergibt ihm immer mehr Schwerverbrechen, doch sein Stern steigt weiter. 1984 gilt er als gefürchtetster Staatsanwalt von ganz Neuengland. Noch einmal: Wie konnte das gehen?“ Der Lieferwagen bog von der Schnellstrasse ab und fuhr in Richtung St.-Bart’s-Kirche, wo Bolton seine allmorgendliche Einsatzbesprechung abhielt.
„Ihr Vater, Mr. Kenzie, ließ sich ‘78 für den Stadtrat aufstellen. Im Amt scheint er nichts anderes zu tun, als einer erbarmungslosen Machtgier zu frönen, die selbst Lyndon Johnson die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Allen Quellen zufolge ist er ein miserabler Staatsdiener, aber ein hervorragender Politiker. Wieder haben wir eine unauffällige Person – mein Gott, ein Feuerwehrmann –, die weit über das hinauswächst, was man von ihr erwartet hätte.“ „Was ist mit Climstich?“ fragte Angie. „Burns hat sich umgebracht, aber gab es bei Climstich irgendwelche Anzeichen einer Veränderung?“
„Mr. Climstich wurde zu einer Art Einsiedler. Seine Frau verließ ihn im Herbst ‘75. Die eidesstattlichen Erklärungen der Scheidung zeigen, dass sich Mrs. Climstich auf unversöhnliche Differenzen nach achtundzwanzig Ehejahren berief. Sie gab an, ihr Ehemann habe sich zurückgezogen, sei krank und der Pornographie verfallen. Außerdem gab sie an, besagte Pornographie sei von besonders abartiger Natur, Mr. Climstich sei von Sodomie besessen.“
„Worauf wollen Sie mit diesen ganzen Sachen hinaus, Agent Bolton?“ fragte Angie.
„Ich meine, dass all diesen Menschen etwas ganz Seltsames passiert ist. Entweder wurden sie sehr erfolgreich und
übertrafen alle Erwartungen hinsichtlich ihrer Lebensziele, oder aber“, er fuhr mit dem Finger über Emma Hurlihy und Paul Burns, „sie kamen mit dem Leben nicht mehr zurecht und implodierten.“ Er sah Angie an, als wüsste sie die Antwort. „Irgend etwas hat diese Leute verändert, Ms. Gennaro. Irgend etwas hat sie verwandelt.“ Der Wagen hielt hinter der Kirche, und Angie sah sich das Foto an und fragte noch einmal: „Was haben diese Leute gemacht?“ „Ich weiß es nicht“, erwiderte Bolton und grinste gequält in meine Richtung. „Aber wie Alec Hardiman sagen würde, es hatte auf jeden Fall einen großen Einfluss.“

29
    Angie und ich gingen zu einem Donut-Laden auf der Boston Street; Devin und Oscar folgten uns unauffällig.
Wir waren beide mehr als müde, vor meinen Augen tanzten und zersprangen Luftblasen.
Wir sprachen kaum miteinander, während wir am Fenster standen, unseren Kaffee tranken und in den grauen Morgen starrten. In unserem Puzzle schienen alle Teile zusammenzupassen, doch irgendwie wollte das Puzzle selbst keine Gestalt annehmen. Ich musste davon ausgehen, dass der EES ein Zusammentreffen, in welcher Form auch immer, mit Hardiman, Rugglestone oder auch mit dem dritten Mörder gehabt hatte. Aber was für ein Zusammentreffen? Erwischten sie Hardiman oder den Unbekannten bei etwas, das letztere für kompromittierend hielten? Wenn ja, was konnte das gewesen sein? Und warum haben die drei dann nicht einfach die Mitglieder des EES damals in den Siebzigern erledigt? Warum warteten sie zwanzig Jahre, um die Nachkommen und deren Angehörige zu verfolgen?
„Du siehst fertig aus, Patrick.“
Ich lächelte sie müde an. „Du auch.“
Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Nach dieser Einsatzbesprechung gehen wir nach Hause ins Bett.“
„Das klingt aber etwas seltsam.“
Sie kicherte. „Ja, stimmt. Aber du weißt, was ich meine.“ Ich nickte. „Du versuchst nach all den Jahren immer noch, mich in die Kiste zu bekommen.“
„Hättest du wohl gerne, du Schlaumeier.“
„Damals, 1974“, fragte ich, „aus welchem Grund könnte ein Mann damals Schminke getragen haben?“
„Das geht dir nicht aus dem Kopf, stimmt’s?“
„Ja.“
„Keine Ahnung, Patrick. Vielleicht waren sie eitel. Vielleicht wollten sie

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