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Absender unbekannt

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Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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von…“ „
„Dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist“, erinnerte ich mich. „Ja. Oft, wenn Alec von diesem John sprach, nannte er ihn Vater John. Alec wäre dann der Sohn. Und der Geist…“
„Ist Arujo“, ergänzte ich. „Er verschwindet im Nebel.“
„Genau. Alecs Verständnis von der Bedeutung der Heiligen Dreifaltigkeit lässt einiges zu wünschen übrig, aber das macht er mit vielen mythologischen und religiösen Bildern so: Er nimmt das, was er braucht, und verschmilzt es so, dass es für seine Zwecke passt. Den Rest wirft er raus.“
„Erzählen Sie uns mehr von John, Doktor!“
„Ja, ja. Wenn man Alec glaubt, gibt sich John als das genaue Gegenteil von dem, was er wirklich ist. Nur vor seinen Opfern und seinen Vertrauten – Hardiman, Rugglestone und jetzt Arujo – nimmt er die Maske herunter und zeigt ihnen >sein wahres Gesicht, den reinen Zorn<, wie Alec sich ausdrückte. Wenn man John sieht, dann erkennt man nur das, was man in einem Menschen sehen will; man sieht Güte, Weisheit und Freundlichkeit. Aber John ist ganz und gar nicht so. Alec zufolge ist John ein >Wissenschaftler<, der menschliches Leiden aus erster Hand
studiert, damit er Hinweise auf den Grund der Schöpfung erhält.“ „Den Grund der Schöpfung?“ fragte ich.
„Ich lese Ihnen mal aus den Aufzeichnungen vor, die ich während einer Sitzung mit Alec im September ‘78 machte, kurz bevor er aufhörte, von John zu sprechen. Ich zitiere Alec Hardiman: >Wenn Gott gütig ist, warum besitzen wir dann die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden? Unsere Nerven sollen uns auf Gefahren aufmerksam machen; das ist der biologische Grund für Schmerzen. Aber wir empfinden Schmerz weit über den Grad hinaus, der zur Warnung vor Gefahr notwendig ist. Wir können Schmerzen in einem Masse empfinden, das sich jeder Beschreibung entzieht. Und wir besitzen nicht nur diese Fähigkeit, die ja auch alle Tiere haben, sondern zusätzlich noch die geistige Fähigkeit, das Erlittene emotional und psychisch wieder und wieder zu durchleben. Diese Fähigkeit besitzt kein anderes Tier. Hasst Gott uns so sehr? Oder liebt er uns so sehr? Oder ist das ein absichtlicher Fehler in unserer DNA, und wenn ja, ist dann der Grund für all die Schmerzen, dass wir abgehärtet werden sollen? Dass uns das Leid anderer Menschen gleichgültig lassen soll, so wie ihn? Und sollten wir ihn dann nicht nachahmen, so wie John es tut? Sollten wir dann nicht den Schmerz und die Methoden, anderen Schmerz zuzufügen, hochachten und ständig weiterentwickeln? Das versteht John unter Reinheit. <„ Dolquist räusperte sich. „Zitatende.“
„Doktor?“ fragte Bolton.
„Ja?“
„Schildern Sie uns einfach mal Ihre Vorstellung von John!“ „Er ist ein kräftiger Mann, und das kann man erkennen, wenn man ihn sieht, aber es ist nicht zu offenkundig. Er ist
kein Bodybuilder, verstehen Sie, einfach ein starker Mann. Auf andere wirkt er ziemlich normal und vernünftig, vielleicht sogar weise. Ich würde vermuten, dass er in seiner Umgebung geschätzt wird, er tut Gutes in kleinem Rahmen.“
„Ist er verheiratet?“ erkundigte sich Bolton.
„Das glaube ich nicht. Selbst er wüsste, dass eine Frau und Kinder seine Veranlagung spüren würden, auch wenn er sich noch so gut verstellte. Vielleicht war er mal verheiratet, aber jetzt nicht mehr.“ „Was noch?“
„Ich bin der Meinung, dass er nicht in der Lage war, das Töten in den letzten zwanzig Jahren seinzulassen. Das brächte er nicht fertig. Ich glaube, er hat die Morde nur nicht öffentlich werden lassen.“ Alle blickten Angie an, die sich an einen nicht vorhandenen Hut tippte.
„Und sonst, Dr. Dolquist?“
„Der größte Nervenkitzel sind für ihn die Morde. Aber am zweitwichtigsten ist die Erregung, hinter einer Maske zu leben. Getarnt beobachtet John die anderen und lacht sie im Schütze der Maske aus. Das ist für ihn ein sexueller Akt, und deshalb muss er die Maske jetzt nach so vielen Jahren abnehmen.“
„Ich kann Ihnen nicht folgen“, wandte ich ein.
„Stellen Sie sich eine Dauererektion vor, wenn Sie wollen. John wartet nun seit über zwanzig Jahren auf den Höhepunkt. Sosehr er seine Erektion genießt, wird der Drang zu ejakulieren doch immer stärker.“
„Er will gefasst werden?“
„Er will sich zeigen. Das ist nicht dasselbe. Er will seine Maske abnehmen und Ihnen ins Gesicht spucken, wenn Sie ihm in seine wahren Augen sehen, aber das heißt nicht, dass er sich widerstandslos in Handschellen abführen

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