Weltraumpartisanen 16: Pilgrim 2000
Mark Brandis
Pilgrim 2000
Hölle im Weltraum
Auszug aus dem Lehrbuch »Geschichte der Astronautik« von Charles Herman Baldwin, VEGA-Verlag, Metropolis, neu aufgelegt im Jahre 2080.
Zu den raumtechnischen Experimenten der Frühzeit, die zu keiner praktischen Weiterentwicklung führten und darum nur Episodencharakter haben, gehört auch dies:
Im Jahr 1991 verließ ein Raumschiff besonderer Art die Umlaufbahn der Erde, kehrte aber nie wieder zurück. Es geschah auf dem Höhepunkt des weltumspannenden kriegerischen Konfliktes, dem man später die Sammelbezeichnung III. Weltkrieg gab.
Das Schiff - getauft auf den Namen PILGRIM 2000 - war für damalige Verhältnisse mit 52 km Länge und einem Durchmesser von 9,4 km ein technisches Wunderwerk. In der Erdumlaufbahn montiert, vornehmlich aus Materialien zusammengestellt, wie sie der Mond liefert, war es ursprünglich als Demonstrationsobjekt für den möglichen Auszug des Menschen in den Weltraum gedacht. Als nun der Ausbruch des III. Weltkrieges die Pläne vereitelte, entschieden sich die Konstrukteure, um einer drohenden Vernichtung des Schiffes vorzubeugen, zu einem überstürzten Start.
Am 21. März 1991 verließ die PILGRIM 2000 - an Bord rund 25000 Menschen, vornehmlich gläubige Christen, die sich auf diese Weise dem Kriegsdienst entzogen - die Umlaufbahn des blutenden Planeten Erde, um, so die letzte Botschaft, »unter den Sternen eine bessere und friedvollere Gesellschaft aufzubauen, eine Gesellschaft der Brüderlichkeit und der Nächstenliebe«.
Seitdem ist die PILGRIM 2000 nie wieder aufgetaucht. Alle Vermutungen über ihren möglichen Verbleib oder Untergang haben sich bislang als nicht stichhaltig herausgestellt. Ihr spurloses Verschwinden in der Unendlichkeit des Raumes zählt darum nach wie vor zu den ungelösten Rätseln.
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1.
Auf den Fall, mit dem ich es hier zu tun hatte, war ich nicht vorbereitet. Ein Lehrgang in Erster Hilfe und ein weiterer Lehrgang in allgemeiner Raummedizin hatten nicht ausgereicht, um aus mir einen Arzt zu machen. Was für meine Diagnose und die daraus abgeleitete Behandlung sprach, war die Tatsache, daß ich an den gleichen Symptomen litt wie die übrigen Mitglieder meiner Besatzung, Nach wie vor kostete es mich Schmerzen und nahezu übermenschliche Überwindung, meine verbrannten Augen auf einen Punkt zu konzentrieren. Jedes Mal, wenn ich sie dem Licht der Leuchtröhre aussetzte, von der Lieutenant Levy angestrahlt war, stach es mich wie mit glühenden Nadeln ins Gehirn.
Auch Lieutenant Levy litt. Er hatte die Lippen aufeinandergepreßt , und der Schweiß rann ihm in wahren Sturzbächen über das schmale, verschlossene, stets abweisend-kühle Gesicht, das so wenig von dem preisgab, was in seinem nüchternen Personalakt verzeichnet stand:
Israel Levy, geb. 18.1.2050 in Jerusalem, Israel, Hautfarbe weiß, Ausbildung zum Nachrichtentechniker auf der VEGA-Schule für Raumfahrt in Beirut, im VEGA-Center und auf der Fachschule für extraterrestrische Kommunikation zu Metropolis. Anmerkung: Levy ist der einzige Überlebende der Madison-Expedition. Er wurde nach 37 Tagen Raumnot mehr tot als lebendig geborgen, lehnte jedoch den ihm zustehenden Anspruch auf vorzeitige ehrenvolle Pensionierung ab.
Als es darum gegangen war, die Besatzung der Kronos zu vervollständigen, die bis auf den Funkoffizier durchweg aus jenen Männern bestand, die schon auf der Medusa unter meinem Kommando geflogen waren, hatte ich bei der VEGA meinen ganzen Einfluß aufbieten müssen, um Levy zugeteilt zu bekommen. Der Ruf, der sich mit seinem Namen verband, war der eines hervorragenden Kommunikators. Aber was half das jetzt?
Seit ein paar Wochen war Lieutenant Levy trotz seines Rufes nicht weniger hilflos wie jeder andere an seiner Stelle: Die Kronos war ein von allen funkischen Verbindungen abgeschnittenes Schiff, verschlagen in ein Raumgebiet, in das sich meines Wissens nie zuvor ein anderes bemanntes Schiff verirrt hatte. Durch den Augenspiegel blickte ich in Lieutenant Levys Augen. Sie waren nach wie vor entzündet und vereitert, doch zum ersten Mal seit der Katastrophe blickten sie klar und wach.
»Wie fühlen Sie sich, Lieutenant ?«
Lieutenant Levys Miene blieb ausdruckslos - das beherrschte Gesicht eines Mannes, der durch eine harte Schule gegangen war.
»Ich halt's aus, Sir .«
»Schmerzen?«
»Nur wenn ich gegen das Licht blicke.«
Ich ließ eine Zahlenkolonne aufleuchten.
»Na, dann versuchen Sie mal zu lesen !«
Lieutenant Levy
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