Absolute Power (Der Präsident)
sechseckigen Ziegelsteinen. Ein breiter Korridor mit Zigarettenwerbeplakaten an der einen und Fahrkartenautomaten an der anderen Seite führte zum Kiosk in der Mitte des Ganges, an dessen beiden Seiten sich Drehkreuze befanden. An der Wand neben den beiden Telefonzellen hing eine riesige Stadtkarte mit dem mehrfarbigen Streckennetz, den Abfahrtszeiten und Fahrkartenpreisen.
Ein gelangweilter U-Bahn-Angestellter lümmelte auf einem Sessel hinter den Glasscheiben des Kiosks. Jack blickte sich um und erspähte die Uhr über dem Kiosk. Dann drehte er sich wieder zur Rolltreppe und erstarrte. Ein Polizeibeamter kam die Rolltreppe herunter. Jack zwang sich, so unauffällig wie möglich die Richtung zu ändern, und lief an der Wand entlang zur Telefonzelle. An die Kabinenwand gepreßt, versteckte er sich. Tief Luft holend, wagte er hervorzuspähen. Der Polizist schlenderte zu den Fahrkartenautomaten, nickte dem U-Bahn-Angestellten zu und ließ den Blick durch die Station schweifen. Jack zuckte zurück. Er mußte warten. Bald würde der Kerl weitergehen; er mußte weitergehen.
Die Zeit verstrich. Eine laute Stimme riß Jack aus seinen Gedanken. Vorsichtig blickte er hinaus. Ein Mann kam die Rolltreppe herunter, offensichtlich ein Stadtstreicher. Er war in Lumpen gekleidet und trug eine dicke, zusammengerollte Decke über der Schulter. Bart und Haare waren strähnig und zerzaust. Das Gesicht war wettergegerbt und fleckig. Draußen herrschte grimmige Kälte. Die warmen U-Bahn-Stationen boten für solche Menschen stets einen willkommenen Zufluchtsort, bis man sie hinauswarf. Die Eisengitter an den Eingängen zu den Rolltreppen waren dafür bestimmt, genau diesen Menschenschlag draußen zu halten.
Jack sah sich um. Der Polizist war verschwunden. Vermutlich überprüfte er die Bahnsteige. Oder er tratschte mit dem Burschen im Kiosk. Jack schaute in die Richtung. Doch auch dort war keiner mehr da.
Jack blickte zurück zu dem Stadtstreicher, der mittlerweile zusammengekauert in einer Ecke saß und seine spärlichen Habseligkeiten durchsah. Dabei rieb er die unbehandschuhten Hände aneinander und versuchte, Blut in völlig steifgefrorenen Glieder zu massieren.
Schuldgefühle überkamen Jack. In der Innenstadt stieß man ständig auf Leute wie diesen Mann. Ein freigebiger Mensch konnte innerhalb eines Häuserblocks seine Taschen bis auf den letzten Cent leeren. Jack hatte das schon des öfteren getan.
Abermals sah er sich um. Sonst war da niemand. Der nächste Zug würde erst in fünfzehn Minuten halten. Er trat aus der Telefonzelle und schaute direkt zu dem Mann hinüber. Der schien Jack gar nicht zu bemerken; all seine Aufmerksamkeit galt seiner eigenen kleinen Welt, die weit abseits der Realität lag. Dann fiel Jack ein, daß seine eigene Wirklichkeit auch nicht mehr normal war, sofern sie das überhaupt je gewesen war. Sowohl er als auch das Mitleid erregende Häufchen Elend ihm gegenüber hatten ihren ganz persönlichen Kampf zu bestreiten. Sie beide konnte der Tod jederzeit ereilen. Nur würde Jacks Ableben vermutlich etwas gewaltvoller und plötzlicher erfolgen. Vielleicht war das sogar besser als der schleichende Tod, der dem anderen wahrscheinlich bevorstand.
Er schüttelte den Kopf; solche Gedanken waren nicht gut für ihn. Wenn er überleben wollte, mußte er wachsam bleiben und fest daran glauben, daß er die Kräfte zu bezwingen vermochte, die gegen ihn aufmarschierten.
Jack machte ein paar Schritte, dann hielt er inne. Kalt schoß das Blut durch seine Adern. Der urplötzliche Gesinnungswandel machte ihn schwindlig.
Der Obdachlose trug neue Schuhe! Weichsohlige, braune Lederschuhe, die vermutlich über hundertfünfzig Dollar gekostet hatten. Sie stachen aus der Masse dreckiger Lumpen hervor wie ein blauer Diamant auf weißem Sand.
Nun schaute der Mann zu ihm auf. Sein Blick verharrte in Jacks Gesicht. Die Augen wirkten vertraut. Jack hatte diese Augen unter den tiefen Falten, dem verfilzten Haar und den wettergegerbten Wangen schon einmal gesehen. Er war ganz sicher. Der Mann stand vom Boden auf, weit kraftvoller, als er zuvor hereingewankt war.
Hektisch blickte Jack sich um. Der Platz war verlassen wie ein Grab. Sein Grab. Er schaute zurück. Der Mann ging bereits auf ihn zu. Jack stolperte rückwärts und preßte die Schachtel an die Brust. Er rief sich die knappe Flucht im Aufzug ins Gedächtnis. Die Pistole. Gleich würde er sie wieder sehen, und sie würde genau auf ihn gerichtet sein.
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