Absolution - Roman
mit den Männern und den sauber geschrubbten Jungen beim Begräbnis, Peters und Ilses Kind. Ich habe mich immer gefragt, was aus dem Jungen auf der Trauerfeier geworden ist, aber ich habe für das Leben meines Mannes so wenig Aufmerksamkeit gehabt. Eine tote Studentin war eine Tragödie, doch – ich habe nie nachgedacht. Mein eigenes Leben und meine Arbeit nahmen mich so in Anspruch. Ich hätte mich an dein Gesicht erinnern sollen, aber vielleicht – kann es sein, dass ich dich bei der Trauerfeier nicht richtig gesehen habe?«
»Das kann sein. Ich habe Sie gesehen, aber ich weiß nicht mehr, ob Sie mich gesehen haben.«
»Du musst verstehen, dass das Leben meines Mannes sein Leben war. Ich spielte die Professorengattin, wenn ich musste, doch ich habe nicht auf Details geachtet. Ich hatte meine eigene Karriere, meine eigenen Studenten. Und überdies gibt es viele Dinge in Williams Leben … Ich will sagen, wir hatten keine unkomplizierte Ehe. Es gab sehr vieles, was ich zu ignorieren redlich bemüht war, was ich nicht wissen wollte. Aber –« Ihre Finger wandern zu ihrem Gesicht und kurz darauf schaut sie mich auf eine Weise an wie nie zuvor. »Ich hätte es schon längst sehen sollen. Natürlich bist du Ilses Kind«, sagt sie, beugt sich herüber und küsst mich auf die Wange. »Ich habe William nicht einmal von dir und den Männern erzählt . Das musst du glauben – verstehst du, er wusste nicht, dass du überhaupt gekommen warst. Er kann nichts dafür. Ich wusste nämlich, was Laura getan haben musste, und ich war so wütend auf sie. Ich wollte nur von ihr hören, aber direkt von ihr. Und diese Notizbücher und ihren Brief zu bekommen versetzte mich in Panik, machte mich so wütend. Ich musste glauben, dass sie wirklich noch am Leben sein könnte, und mit dir konfrontiert zu werden, mit dieser Verantwortung, die sie auf sich genommen hatte, verstärkte irgendwie meine Wut. Aber das ist schrecklich. Du hast sie gekannt, nicht wahr? Du musst sie schon jahrelang gekannt haben.«
Ich denke an alles, was ich jetzt sagen könnte, wie ich auf gewisse Weise das Ende von Lauras Geschichte für Clare schreiben könnte. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Ich weiß, dass das Ende, das ich liefern könnte, nur der Anfang eines weiteren Bandes sein würde, den zu lesen Clare wahrscheinlich nicht überleben würde. Stattdessen erzähle ich ihr, dass Laura wie eine Retterin auftauchte, als ich eine solche am nötigsten hatte.
»Wie meinst du das? Eine Retterin, wie ich es mir vorgestellt hatte?«
»Nicht ganz.«
Ich spiele die Szene jenes Tages in Gedanken noch einmal durch, der abgelegene Ort, an dem Bernard und ich anhielten, das sinkende Tageslicht, die Wut, die in mir ausgebrochen war, als ich dort auf ihn sah, der in seiner eigenen Art von Wut gefangen war und dort auf der Erde mit einer Zeitschrift über dem Gesicht schlief. Ich sehe, wie meine Hand den Zündschlüssel umdreht, fühle das Klicken der Zündung. Mein Vater hatte mich ein paarmal vor sich auf den Sitz gesetzt, daher wusste ich, wie man den Schalthebel bewegt, wie ich den Fuß auf die Kupplung setzen, sie dann allmählich loslassen und Gas geben musste. Meine Absicht war, Bernard zu erschrecken oder vielleicht einfach davonzufahren. Ich könnte behaupten, dass das Gaspedal klemmte. Ich könnte sagen, dass der Laster schneller fuhr, als ich erwartet hatte, und ich die Kontrolle verlor. Ich könnte behaupten, dass mein Fuß nicht rechtzeitig die Bremse gefunden hatte. Aber als ich jetzt die Szene in Gedanken noch einmal durchspiele, setzt sich allmählich eine andere Version zusammen.
Bernard schläft auf dem Boden und hat mich im Fahrerhaus allein gelassen. Wie in allen Versionen, an die ich mich erinnere, bin ich völlig dehydriert und fast im Delirium. Aber in dieser Version ist Bernard bei Lauras Eintreffen noch am Leben. Sie kommt klammheimlich aus dem Busch, sieht Bernard und rennt gebückt zum Laster. In dieser Version begreift sie alles. Sie hat mich gesucht, hat mich aufgespürt und versucht, mich vor dem Mann auf dem Boden zu retten. Sie klettert über mich auf den Fahrersitz und sagt mir, ich solle still sein und die Augen zumachen. Ich lege meine Hand auf den Schalthebel, doch sie hebt sie weg und legt sie auf den Sitz. Ich höre, wie sich der Zündschlüssel umdreht; sie drückt die Kupplung durch, legt den Gang ein und gibt Gas. Der Aufprall ist der gleiche und das Knirschen, das folgt. Wir setzen zurück und halten an, wir bewegen uns
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