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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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schminken, dass ich kurze Röcke tragen und meinen Schulmädchenschnurrbart bleichen durfte. Es war offensichtlich, dass für mich andere Maßstäbe galten, und sie hat das begriffen. Unsere Eltern hatten sie unter ihrer Fuchtel, bis sie sechzehn war. Sie ging nicht zur Universität. Die Ehe war eine Flucht vor autoritären Eltern in eine noch autoritärere Kultur. Ich hatte mehr Glück.«
    »Sie haben im Ausland studiert.« Ich weiß das alles. Ich lege das Fundament. Alles andere wird darauf ruhen.
    »Ja. Internatsschule hier und dann Universität in England. Danach eine Zeit in Europa.«
    »Und dann kehrten Sie zurück, zu einer Zeit, als viele in der Antiapartheidbewegung – besonders Schriftsteller – ins Exil zu gehen begannen.«
    »Das stimmt. Das war, bevor ich etwas veröffentlicht hatte. Ich wollte zurück, wollte ein Teil der Opposition sein, wie sie damals war.«
    »Haben Sie etwas gegen diejenigen, die emigrierten?«
    »Nein. Einige hatten kaum eine Wahl. Sie wurden ausgewiesen, sie oder ihre Familien wurden bedroht und einige wurden ins Gefängnis gesteckt. Oder sie sind für eine kurze Zeit fortgegangen, um im Ausland zu studieren, und stellten fest, dass sie wegen ihrer politischen Aktivitäten nicht zurückkehren konnten, oder sie stellten fest, dass es in vieler Hinsicht einfacher war, in England oder Amerika, Kanada oder Frankreich zu bleiben. Und es war wohl auch besser für sie, wenn es das war, was sie wollten, wenn sie glaubten, das für sich tun zu müssen. Mich haben sie meist in Ruhe gelassen, deshalb blieb ich – oder vielmehr, ich kehrte zurück und blieb. Führt das irgendwohin, diese Art von Fragen? Was kann das über mich aussagen?«
    Bei unserer Begegnung in Amsterdam ist sie betrunken gewesen von den Lobeshymnen und von reichlich Sekt. Als Folge davon war sie damals überschwänglich und freigebig, oder vielleicht schien sie nur so, weil sie fern von zu Hause war und gefeiert wurde. Sie gab vor, sie habe Geburtstag, und nahm eine Magnumflasche Sekt vom Konferenzempfang mit. Im nüchternen Touristenhotel, in dem sie untergebracht war, bat sie die Dame an der Rezeption in holprigem Afrikaans um Gläser aus dem Restaurant, damit sie mit ihren Freunden, alten und neuen, ihren Geburtstag begießen konnte. Die Empfangsdame bemühte sich, nicht über ihre Sprache zu lachen, aber sie hatte den gewünschten Erfolg.
    Ich war damals Teil der Gruppe, ein neuer Freund. Zieht man den Sekt in Betracht, überrascht es mich nicht, dass sie unsere erste Begegnung vergessen hat oder dass sie meint, es war in London, auf einer Preisverleihung statt auf einer Konferenz. Sie ist eine alte Frau. Ihr Gedächtnis kann nicht tadellos sein.
    Es fällt mir jedoch schwer, die Schriftstellerin, deren Bücher ich so verehre, die in Amsterdam mit solcher Anmut meine Hand ergriffen hat, mit der Frau, die mir jetzt gegenübersitzt, in Einklang zu bringen. Ihre Miene zeigt offen Spott. Das lässt eine Erinnerung aufblitzen, die ich sofort unterdrücke. Ich kann mir nicht erlauben, über die Vergangenheit nachzudenken, noch nicht.

ABSOLUTION
    Es war nicht das übliche langsame Aufwachen in der Mitte der Nacht, aus tiefem Schlaf. Clares Blase war nicht voll, sie hatte am vergangenen Tag keine koffeinhaltigen Getränke zu sich genommen. Ihr Fenster war offen, doch für gewöhnlich störten Geräusche von draußen ihren Schlaf nicht. Instinktiv wusste sie, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie hyperventilierte, als sie aufwachte, und das Herz schlug ihr so laut, dass es sie verraten hätte, wäre jemand im Zimmer gewesen.
    Seit Jahren hatte sie sich gegen eine Alarmanlage gesträubt und darauf beharrt, dass Riegel ausreichten; wer resolut genug war, trotz Bolzenschlössern, Sicherheitsglas und Fenstergittern einzubrechen, verdiente jede Beute, die er machte. Aber jetzt – wie sehr wünschte sie sich eine Alarmanlage und solch einen Alarmknopf neben dem Bett, für dessen Installation sich ihre Freunde und ihr Sohn, ihre verstreuten Cousins und Cousinen alle entschieden hatten. Sie wusste, dass das Geräusch nicht von Marie herrühren konnte, die oben im Dachgeschoss schlief. Es war von unten gekommen. Wenn Marie die Treppe hinuntergegangen wäre, hätte Clare sie im Korridor gehört.
    Sie versuchte, ihren Puls zu beruhigen, indem sie sich sagte: Alles ist still, nur ein Lüftchen weht , ein altes Mantra, das sie als Kind gelernt hatte. Die Gardinen spielten um die Fenstergitter. Sie war nicht wegen irgendwelcher

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