Absolution - Roman
Körperteils. Keine Prothese kann Ersatz leisten. Die Familie ist verkrüppelt. Mehr möchte ich nicht dazu sagen.«
Obwohl das erst unser zweites Treffen werden soll, kann oder will mich Clare heute nicht empfangen. Stattdessen fahre ich zum Archiv Westkap, parke auf der Roeland Street und nicke dem Parkplatzwächter zu, der im Schatten eines Lasters Zuflucht gesucht hat. Er lächelt unterwürfig und gibt so etwas wie einen zustimmenden Laut von sich. Ich bin immer angespannt und erwarte das Schlimmste. Auf dem Flughafen war ich ein Ausländer, doch eine Woche später, gestern auf dem Markt, war ich schon wieder ein Einheimischer. Über Salatköpfe hinweg sprach mich eine Frau an und erwartete eine Antwort. Vor einem Jahrzehnt hätte ich die passenden Worte finden können. Ich musste den Kopf schütteln. Lächelnd entschuldigte ich mich und erklärte, dass ich die Sprache nicht beherrschte, sie nicht verstand. Ek is jammer. Ek praat nie Afrikaans nie. Ek verstaan jou nie. Ich habe zu viel meines Afrikaans vergessen, um antworten zu können. Ich wusste nicht, was ich über den Salat oder den Fisch, den vis , sagen sollte. Sie wirkte überrascht, dann zuckte sie mit den Schultern und ging weg. Dabei murmelte sie empört vor sich hin. Vielleicht vermutete sie, dass ich ihre Sprache beherrschte, mich aber weigerte, sie zu sprechen.
Das Archiv ist seit beinah zwanzig Jahren in einem früheren Gefängnis untergebracht. Der Parkplatzwächter beobachtet, wie ich die Treppe hinauf- und durch das grüne Gitter des alten Tors in der Außenmauer aus dem 19. Jahrhundert gehe. Drinnen gibt es schäbige Picknicktische und Anpflanzungen sowie den neuen Bau, ein Gebäude in einem Gebäude. Ich trage mich in die Liste ein, verstaue meine Tasche in einem Schließfach und gehe mit meiner Ausrüstung in den Lesesaal. Die Frau hinter dem Schalter, eine Mrs Stewart, weiß zunächst nicht so recht, was ich will. Sie sieht fast ein wenig erschreckt aus, als sie begreift, nickt aber und fordert mich auf, Platz zu nehmen, während sie nach den Akten suchen lässt. Ihre Stimme hebt sich an jedem Satzende, ihr Tonfall macht aus allem eine Frage. Vor ein paar Jahren hätten die Mitarbeiter mich selbst in den Regalen suchen lassen – Freunde hatten dieses Glück gehabt und Dinge gefunden, die sie eigentlich nicht finden sollten. Jetzt ist alles besser organisiert und professioneller, aber auch ein bisschen weniger hoffnungsvoll.
Die anderen Besucher scheinen sämtlich Amateurgenealogen auf der Suche nach ihrer Familiengeschichte zu sein. Als der Stapel brauner Mappen mit leuchtend roten Stempeln auf meinem Tisch landet, fühle ich, wie mich die anderen anstarren und sich fragen, was für Akten ich wohl einsehen mag, die nicht länger vertraulich sind, aber immer noch den Stempel tragen. Ich hole meine Kamera und das Stativ hervor und fotografiere den ganzen Vormittag lang Seite um Seite.
In der Mittagspause treten zwei Frauen aus dem Lesesaal in der Eingangshalle an mich heran.
»Erforschen Sie Ihre Familiengeschichte?«, fragt die eine von ihnen und ihre Stimme hebt sich wie die von Mrs Stewart.
»Nein. Es ist für ein Buch. Ich sehe die Akten des Publications Control Board durch. Der Zensurbehörde.«
»Oooh«, sagt die andere und nickt. »Wie interessant!«
Wir sprechen kurz miteinander. Ich frage sie nach ihren Recherchen. Sie sind Schwestern und forschen nach ihren Ahnen, versuchen, den richtigen Hermanus Stephanus oder die richtige Gertruida Magdalena durch Jahrhunderte von Menschen mit denselben Namen aufzuspüren.
»Viel Erfolg«, sagt die Erste, als wir uns auf der Treppe trennen. »Hoffentlich finden Sie, wonach Sie suchen.«
Ich gebe dem Parkplatzwächter, was ich für angemessen halte. Es ist anscheinend immer zu wenig oder zu viel. Später frage ich Greg nach seiner Meinung, die ich schätze, weil ich ihn seit unserer gemeinsamen Studienzeit in New York kenne und weil er derjenige meiner Freunde ist, die ich hier im Land noch habe, der sich moralisch und sozial am stärksten engagiert. Als ich Greg mitteilte, dass ich zurückkommen und meine Frau später im Jahr zu mir stoßen würde, um ihre Arbeit in Johannesburg aufzunehmen, bestand Greg darauf, dass ich bei ihm wohne, solange ich mich in Kapstadt aufhalte.
»Es kann nie zu viel sein, weil sie es dringender brauchen als du«, sagt er und lässt seinen Sohn auf seinem Knie reiten. »Es ist dasselbe, wie wenn dein Mietauto gestohlen wird oder jemand das Radio oder die
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