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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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Jeanne-Claude und Christo nichts sagten und der Christo für einen religiösen Schwindler hielt, winkte ab.
    Ich ließ mich vom Selbstmordversuch meines Körpers zu Medizin, Gesundheit und Stumpfsinn erpressen. Ich wurde feig und ängstlich, also vernünftig und leer. Alle gratulierten mir dazu, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein. Aber neben mir liegt ein Toter!, schrie ich! Was machen wir mit dem Toten? Er stinkt ja schon! Aber niemand außer mir sah den Toten. Niemand außer mir roch den Toten. Alle zuckten mit den Schultern. Alle kratzten sich und schüttelten den Kopf. Ein Toter? Was für ein Toter? Eine Täuschung wahrscheinlich. Eine Einbildung. Kein Wunder nach den letzten Tagen. Aber das gibt sich schon.
    Mein Schreiben war zusammengebrochen. Einer, der vor den Alternativen Tod und Vegetieren steht, hat keine literarische Berechtigung. Das Schlimmste, was mir passieren konnte, war jetzt passiert: Es schrieb nicht mehr in mir. Ich war nichts Besonderes mehr. Ich verachtete mich.
    Gerne hätte ich wahllos irgendeinem Kardiologen in den Oberschenkel geschossen (jetzt, wo ich doch nicht mehr ich war!). Aber ich traute mich nicht, und ich war ja auch tot. Ein Toter kann niemanden erschießen. Ich verachtete mich. Ich wollte mich loswerden. Ich überlegte mir, mich »Jan Philipp Möller II.« zu nennen. Aber das hätte eine Kontinuität vorgegaukelt, die nicht existierte. Also gab ich mir dann einen ganz anderen Namen, ein Pseudonym, und nannte mich Dr. Phil Eggs, so wie ich heute noch heiße.
    Damit die Schrift erfüllt werde, habe ich ein Jahr lang ein Nichtrauchertagebuch geführt. Seit ich nicht mehr rauche, lautet beispielsweise die Eintragung am hunderteinundsiebzigsten Tag meines Martyriums, habe ich fürchterlich zu stottern angefangen. Sprechblockaden wie Pickel, es wird immer peinlicher, unangenehmer, unerträglicher. Sprechblockaden, Schreibhemmungen, Gedanken zerfleddern und zerflattern. Ich meide Menschen. Ich spreche so wenig wie möglich. Ich schreibe nichts. Ich habe keine Einfälle, und es fällt mir auch nichts auf. Ich versuche, nur ja nicht auf mich aufmerksam zu machen. Weiß nicht, wovon ich auf Dauer leben soll. Am hunderteinundachtzigsten Tag: Die Höhepunkte meines Lebens bestehen jetzt darin, dann und wann neben einem Raucher einzuatmen.
    Andere träumen Nacht für Nacht, dass ihr verstorbener Vater oder ihre verstorbene Mutter zurückkehrt und wieder lebendig ist. Ich träume Nacht für Nacht, dass ich wieder zu rauchen angefangen habe und mir eine Zigarette anzünde. Es sind richtige Träume, keine Tagträume oder Wunschträume: Ich träume ja auch das schlechte Gewissen gleich mit und dass ich mich wegen meiner Willensschwäche sehr über mich selber ärgere und enttäuscht bin. So bin ich geradezu erleichtert, wenn ich aufwache und merke, dass ich bloß im Traum, tatsächlich aber nicht geraucht habe. Die Erleichterung dauert aber höchstens ein paar Augenblicke.
    Die Träume hören nicht auf. Im Gegenteil geraten sie immer raffinierter. Die neuen Träume schließen die alten Träume mit ein: Jetzt träume ich, dass ich mich rauchend an die Zeit zurückerinnere, in der ich wohl im Traum, aber noch nicht in Wirklichkeit geraucht habe. Und dann wache ich auf und wache ich auf und rauche noch immer nicht. Meine Existenz ist eine Kette von Auslassungszeichen. Ich belohne mich immer wieder fürstlich dafür, dass ich die Auslassungszeichen leer lasse – mit kulinarischen Spezialitäten, italienischen Designerschuhen, sündteurer britischer Herrenmode, Ausflügen, Urlauben: All diese Belohnungsversuche haben letztlich bloß die eine Konsequenz, dass meine finanziellen Reserven schwinden und die Auslassungszeichen leer bleiben.
    Am zweihundertsechzehnten Tag notierte ich: Habe heute – da ich ohnehin im Krankenhausareal war, um einen Helicobacter-Atemtest zu machen, die Raucherambulanz gesucht. Zur zusätzlichen Abschreckung ist sie in der Lungenabteilung untergebracht (ein Auswärtsmatch also!) – hat man mir jedenfalls gesagt, denn gefunden habe ich sie nicht. Welche Verdienste auch immer man in seinem Leben erworben haben mag, welche literarischen oder sonstigen Heldentaten man vollbracht hat, was für ein wilder Hund und Widerständler man auch immer sein mag: Die Lungenabteilung betritt man klein und sterblich – auch noch als Besucher. Als Raucher hätte ich diese Heilhölle mit eigenen Beinen ohnehin nie und nimmer betreten. Es riecht nicht gut in der Aufnahme der

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