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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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sich um einen Sterbenden zusammenzudrängen und sich stumm und unter Tränen aneinanderzuklammern.
    Und so verbrachten die Akaran-Kinder die letzten Augenblicke mit ihrem Vater. Als sie das Krankenzimmer verließen, rannte Corinn vor ihren Geschwistern her und achtete nicht auf Menas Bitten, sie möge bei ihnen bleiben. Sie konnte nicht. Anstatt die Bindung zwischen ihnen als enger zu empfinden, brannten diese Bande wie giftige Tentakel. Sie floh, sobald sie Gelegenheit dazu hatte, versteckte sich in ihren Gemächern und befahl ihren Wachen, niemanden einzulassen.
    So kam es, dass sie später an diesem Tag durch die verschlossene Tür hindurch vom Tod ihres Vaters erfuhr. Zunächst drang es als ein Flüstern zu ihr. Kurz darauf begann die gewaltige Glocke in einem der hohen Türme zu läuten, langsam, tief und klagend. Corinn hatte von dieser Glocke gewusst, sie aber noch nie gehört. Sie wurde nur zu einem einzigen Zweck verwendet: um den Tod eines Königs aus dem Geschlecht der Akaran zu verkünden. Zwischen den einzelnen Schlägen vernahm sie das immer lauter werdende Wehklagen des Gesindes, eine hörbare Bekundung der Trauer, die sich im ganzen Palast ausbreitete und hinunter bis zur Unterstadt und zum Hafen, von wo aus sie in die Welt hinausgetragen werden würde. Corinn hielt sich die Ohren zu, vermochte die Geräusche jedoch nicht auszuschließen.
    Die folgende Woche verschwamm zu einem trübsinnigen Schemen. Hätte sie die Wahl gehabt, sie hätte sich augenblicklich in ihrem Zimmer eingeschlossen und die Welt ausgesperrt. Doch sie hatte keine Wahl. Ihre Anwesenheit wurde täglich verlangt, stündlich, auch wenn sie kaum mehr tat, als einen Raum auszufüllen, eine leere Hülle ihrer selbst, die von einer Person nach der anderen umarmt wurde, vor der sich die Menschen verneigten oder Tränen vergossen. Sie stand neben ihren Geschwistern, als die Menschenmassen mit ihnen die Totenklage für ihren Vater sangen. Zitternd stand sie da, als die Trommler den langsamen, kriegerischen Trauerrhythmus schlugen, der allein verstorbenen Monarchen vorbehalten war. Ohne zuzuhören, ließ sie die endlosen Totenreden über sich ergehen, gehalten von Edelleuten, die von nah und fern herbeigereist waren und von denen jeder sein Beileid bekundete, in Worten, die sich übereinanderschichteten und jeden Sinn verloren. Sie wusste, dass hinter der Trauerfassade angespannte, bange Erwartung herrschte. Sie wusste, dass die Menschen ängstlich von den furchtbaren Bedrohungen flüsterten, die sich am Horizont zusammenbrauten, doch ihr persönlicher Kummer nahm sie vollständig in Anspruch. Was draußen in der Welt geschah, war ihr gleichgültig.
    Am Ende der Woche salbten die Vada-Priesterinnen und ihre Jünger den Leichnam des Königs und äscherten ihn ein. Das war die einzige offizielle Aufgabe, die sie noch wahrnahmen, und sie erfüllten sie mit großem Ernst. Als sie die Urne mit der Asche des Königs präsentierten, endeten die Rituale. Seine Asche würde erst an einen Tag im Spätherbst verstreut werden, das wusste Corinn. Sie freute sich nicht auf die Zeremonie, doch bis dahin würde es noch eine Zeitlang dauern.
    Sobald sie konnte, nahm sie Zuflucht zu den alten Trauerriten. Sie ließ die Fenster verhängt und verbot sogar ihren Dienern, sie anzusehen. Speisen und Getränke ließ sie vor der Schlafzimmertür abstellen, rührte sie jedoch kaum an. Tage verstrichen, gingen gleichförmig ineinander über. Mena kam sie zweimal besuchen, Aliver einmal, und selbst Dariel ließ sie durch einen Boten bitten, aus ihrem Zimmer herauszukommen, doch sie wies sie alle ab. Hin und wieder schlief sie ein, durchlebte Träume und Erinnerungen, Visionen der Vergangenheit, die ihr auf einmal so fern erschien. Bisweilen kam ihr der Gedanke, wie trügerisch die Illusion der Zeit war. Was einmal gewesen war, konnte nie wieder sein. Menschen, an denen sie gehangen hatte – ihre Mutter, ihr Vater -, waren nicht wirklicher als die Bilder, die sie in ihrer Vorstellung heraufbeschwor. Und wozu waren die gut? Man konnte sie nicht berühren. Man konnte ihr Gewicht nicht in der Hand fühlen, sie nicht mit wachen Augen sehen oder sie in der Luft hören. Ihr Leben würde genau so verlaufen, wie sie es sich in ihren dunkelsten Momenten vorgestellt hatte: Es war ihr bestimmt, eine geliebte Person nach der anderen zu verlieren. So würde ihr Leben aussehen, bis sie selbst irgendwann von demselben unersättlichen Schlund verschlungen würde. Dem konnte sie sich

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