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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Hanish.
    »Und sag meinem Schreiber Bescheid, dass ich ihn morgen ebenfalls brauchen werde. Heute werde ich bei den Ahnen wachen. Sie werden begierig sein, von Thasrens Schicksal zu erfahren. Ich sollte es ihnen erklären. Außerdem muss ich mich vom Blut meines Gegners reinigen. Es wird ein langer Abend werden.«
    Bei der Erwähnung der Ahnen hatte Arsay den Kopf geneigt und hob ihn nicht wieder. Als er davonging, sah Hanish an dem angespannten Nacken und der Kopfhaltung des Mannes, dass er Angst hatte. Obwohl er dies missbilligte – niemand sollte seine Ahnen fürchten, selbst wenn sie eine geisterhafte Erscheinungsform des Zorns waren -, musste sich Hanish doch die Enge in seiner eigenen Kehle eingestehen, die Spannung in seiner Brust. Niemand sollte die Tunishni fürchten, doch alle taten es. In ihrer sicheren Kammer fühlte er den Puls ihrer untoten Energie so deutlich, wie er Hitze oder Kälte auf der Haut spürte, Freude oder Angst in seinem Herzen. Sie waren die Uralten seines Volkes, in einem zeitlosen Zwischensein erhalten. Solcher Feindseligkeit zu begegnen, wie sie sie in ihrem uralten Gedächtnis bewahrten, war furchterregend.
    Eine Weile wartete er allein, sammelte Kraft, fühlte, wie sich Kräfte ordneten, die lange nicht im Einklang gestanden hatten. Die zweiundzwanzigste Generation seit der Vergeltung... das war es, was er war. Wenn die Tunishni recht hatten – und daran bestand kein Zweifel -, würde sich die Welt von Grund auf ändern.

21

    Corinn sollte noch viele Nächte lang von jener letzten Umarmung träumen, so oft, dass dieser Augenblick zum Fluch wurde, zu einer albtraumhaften Falle, die aus den Armen ihrer Geschwister und dem sterbenden Körper ihres Vaters bestand. Dass ihr Vater das nicht gewollt hatte, änderte nichts. Es spielte auch keine Rolle, dass er nichts anderes hatte tun können, dass es eine letzte gequälte Liebesgeste gewesen war. Sie wünschte sich noch immer, es wäre nie dazu gekommen. Manche Dinge sollte man lieber unvollendet lassen, dachte sie, unvollendet für alle Zeit.
    Was sich in dem Gemach zwischen dem König und seinen Kindern zugetragen hatte, war eine einfache Angelegenheit gewesen. Er erwartete sie in sitzender Haltung im Bett, von Kissen gestützt. Corinn blieb hinter den anderen Kindern zurück, als diese auf ihren Vater zurannten und neben dem Bett auf die Knie fielen. Schon von weitem konnte sie einen Mann sehen, der viel schwerer von Krankheit gezeichnet war, als sie es sich hätte vorstellen können. Sie hatte die ganze Nacht an ihn gedacht und ihn sich von Schmerzen gequält vorgestellt, in verschiedenen Körperhaltungen, in unterschiedlicher Verfassung und sogar in der Reglosigkeit des Todes. Doch jetzt, da sie ihn endlich vor sich sah... Es war, als sei ein vermummter Dämon, der die ganze Nacht über ihre Träume heimgesucht hatte, im hellen Tageslicht enthüllt worden; anstatt ihre Angst zu besänftigen, hatte sich der Dämon als etwas Grässlicheres erwiesen, als sie es sich jemals ausgemalt hatte. Am liebsten hätte sie kehrtgemacht und wäre weggelaufen. Vielleicht hätte sie es auch getan, wenn die Augen des Königs sich nicht in dem Moment, als sie den Raum betrat, auf sie gerichtet und anscheinend nur sie angestarrt hätten.
    Anfangs taten die anderen flüsternd ihre Erleichterung kund, ihn zu sehen, ihr Erschrecken über das, was geschehen war, und ihre Wünsche für seine baldige Genesung. Doch er konnte ihnen nicht lange zuhören. Indem er den Arm hob und mit den Fingern durch die Luft fuhr, gebot er ihnen Schweigen. Die Kinder warteten, doch er schien ihnen sonst nichts bieten zu können. Corinn begriff vor ihren Geschwistern, dass er nicht sprechen konnte, dass er furchtbar schwach war und vielleicht nur noch wenige Stunden zu leben hatte. Er konnte ihnen keine letzten Geschenke machen, keine weisen Worte sagen. Er konnte, wurde Corinn schlagartig klar, die Versprechen nicht halten, die er ihr gegeben hatte.
    Und sie begriff auch als Erste, was seine erhobenen Arme zu bedeuten hatten. Zitternd hob er sie und breitete sie weit aus. Aliver trat einen Schritt zurück, offenbar glaubte er, der König wolle ein Gespräch über ein bedeutsames Thema eröffnen. Doch das war es nicht. Er hielt die Arme einfach so lange ausgebreitet, bis seine Kinder die Einladung als das erkannten, was sie war. Dann drängten sie sich unbeholfen alle zusammen in die dargebotene Umarmung, Corinn als Letzte. Offenbar begriff nur sie, wie entsetzlich es war,

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