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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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es bedeutete, ein großes Reich zu regieren. Niemand – außer möglicherweise genau der Mann, der die Frage gestellt hatte.
    Ihr wurde klar, dass die Zeit verstrich und sie noch nicht geantwortet hatte. Der Blick des Mannes bohrte sich in ihre Augen. Er fragte noch einmal: »Was hast du getan?«
    Dieses Mal hörte sie die Frage anders – oder sie beschloss, sie anders zu hören. »Ich habe dich ins Leben zurückgeholt.«
    »Warum?«
    Was sollte sie antworten? Sie könnte sagen, dass sie sich vor der Bedrohung fürchtete, die auf die Bekannte Welt zumarschierte. Sie misstraute sich selbst jetzt mehr als je zuvor und konnte nicht mehr sagen, ob das, was sie tat, zum Guten oder zum Schlechten war. Sie könnte erklären, dass all die Macht, die sie angehäuft hatte, nichts bedeutete, wenn sie blind war für jene, die ihrem Sohn etwas zuleide tun wollten. Es hätte so wenig gefehlt, beinahe hätte sie Aaden verloren! Wenn das geschehen konnte, was für andere Schrecken mochten sie dann noch erwarten? Sie hätte zugeben können, dass jede Waffe, über die sie verfügte – ihre Verbündeten, die Gilde, die sie mit jedem zweiten Wort belog, der Wein, mit dessen Hilfe sie ein Reich aus gehorsamen Dienern erschaffen würde, das Lied, das in eben diesem Augenblick in die Welt hinaustanzte und tief in den Eingeweiden der Erde einen Wurm wachrüttelte –, doppelzüngig und heimtückisch war und nur darauf wartete zuzuschlagen. Sie sollte schwören, dass es ihr verhasst war, Mena und Dariel als unwillige Agenten ausgeschickt zu haben, dass sie es verabscheute, anscheinend unfähig zu sein, sich ihnen ganz zu öffnen. Sie könnte erklären, dass sie nichts von alledem so wollte. Sie brauchte ihn, um ihr zu helfen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Es war alles viel zu viel, um es auf einem einzigen Paar Schultern zu tragen, und wenn er ihr half, konnten sie vielleicht zusammen einen sichereren Kurs festlegen, als es einer von ihnen allein gekonnt hätte. Sie hätte sagen können, dass sie an jedem hehren Ideal zweifelte, das jemals seinen Lippen entschlüpft war, sie müsse aber zugeben, dass ein Teil von ihr nur zu gern daran glauben wollte.
    All dies hätte sie sagen können, doch sie tat es nicht. Obwohl sie das alles ernst meinte, wusste sie auch, dass sie sich immer noch an all die sich windenden Dinge klammerte, die sie hasste; sie selbst war die Doppelzüngigkeit und Heimtücke, vor denen sie sich fürchtete und vor denen er sie retten sollte. In eben diesem Augenblick war sie nur einen Atemzug davon entfernt, sich zu wünschen, dass sie einen ganz anderen Menschen herbeibeschworen hätte. Anstatt das alles zuzugeben, sagte sie daher: »Weil die Welt dich braucht. Es ist nicht vollendet. Wir brauchen dich im Leben, nicht in der Dunkelheit.«
    »In der Dunkelheit?«, fragte der Mann. Er schloss die Augen, als erinnere er sich an die Bedeutung dieses Wortes. »Nein, der Tod ist keine Dunkelheit. Und ich habe auch das Leben nicht vergessen. In jedem Augenblick kommen neue Seelen in den Nachtod. Sie bringen Neuigkeiten von den Lebenden, auch wenn sie sie schnell vergessen. Aber ich war dem Leben gegenüber nicht tot.« Er öffnete die Augen wieder. »Ich weiß von dir und den Dingen, die du getan hast.«
    Corinn hatte nicht damit gerechnet auszusprechen, was sie darauf antwortete. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie es gedacht hatte. Aber es war wahr, und es kam ihr sehr wichtig vor, es jetzt zu sagen. »Dann weißt du, dass nur du mich retten kannst. Bitte.«
    Während sie auf seine Antwort wartete, wurde der Mann vor ihr ein wenig greifbarer, ein bisschen solider, nicht mehr ganz so durchsichtig, auch wenn er verschwommen und halb geformt blieb. Der Mann hob eine Hand. Er nickte, doch dieses Nicken war keine Zustimmung, es zeigte nur, dass er ihr antworten würde. Dies war ein Angebot, das es verdiente, sorgsam abgewogen zu werden, und er war nicht so sehr mit dem Tod im Reinen, dass er es nicht sorgfältig bedenken würde. Er brauchte nur ein paar Augenblicke Zeit. Dann würde er ihr antworten.
    Königin Corinn Akaran faltete die Hände im Schoß, saß in ihrer Müdigkeit so aufrecht wie möglich da und wartete auf die Antwort der Geistererscheinung. Sollte er das Angebot annehmen, war sie bereit, seinen Namen zu flüstern und den Zauberspruch zu vollenden und ihn dadurch wahrhaftig wieder in die Welt zurückzubringen. Aliver Akaran , würde sie sagen und jedes Wort ernst meinen, das Leben braucht dich immer

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