Accelerando
durchaus ernähren, nur nicht auf die
Weise, wie es die Gesellschaft heutzutage jedem vorgibt. Würdest
du frohen Herzens in die Zukunft blicken, wenn wir das Jahr 1901
hätten und du gerade einen Großindustriellen geehelicht
hättest, der Kutscherpeitschen vertreibt?«
Ihre Finger zucken und die Ohren röten sich, doch sie geht
auf die Zweideutigkeit nicht ein. »Du hast überhaupt keinen
Sinn für Verantwortung, stimmt’s? Weder deinem Land noch
mir gegenüber. Darum geht es nämlich: Keine deiner
Beziehungen liegt dir wirklich am Herzen, trotz dieses ganzen
Unsinns, dein geistiges Eigentum zu verschenken. Dadurch fügst
du Menschen in Wirklichkeit Schaden zu, weißt du. Diese
zwölf Millionen Steuerschuld sind ja nicht einfach aus der Luft
gegriffen, auch wenn die im Grunde gar nicht erwarten, dass du sie
wirklich bezahlst. Aber zwölf Millionen sind ziemlich genau die
Summe, die du an Einkommensteuer zahlen müsstest, falls du nach
Hause zurückkehren, ein Unternehmen gründen und als
Selbständiger…«
»Da bin ich anderer Meinung. Du vermischst zwei völlig
verschiedene Dinge miteinander und nennst sie beide
›Verantwortlichkeit‹. Und ich weigere mich, jetzt
plötzlich Honorare zu nehmen, nur um das Defizit der
Finanzbehörden auszugleichen. Die sind doch selbst daran schuld,
verdammt noch mal, und sie wissen es auch. Wären die mir, als
ich sechzehn war, nicht auf die Pelle gerückt, weil sie
vermuteten, ich sei der Drahtzieher eines weit verzweigten
betrügerischen Online-Zahlungssystems…«
»Das ist doch längst Vergangenheit.« Sie tut seinen
Einwand mit einer Handbewegung ab. Ihre langen, schlanken Finger
stecken in glänzenden schwarzen Handschuhen, die geerdet sind,
um jede peinliche elektrische Entladung zu verhindern. »Wenn wir
ein paar gute Ratschläge einholen, können wir all das aus
dem Weg räumen. Du wirst ja sowieso früher oder später
damit aufhören müssen, durch die Welt zu gondeln. Werde
erwachsen, übernimm Verantwortung, tu das Richtige. So wie du
jetzt lebst, machst du auch Joe und Sue Kummer; sie verstehen nicht,
was dich umtreibt.«
Manfred unterdrückt die Antwort, die ihm ursprünglich
auf der Zunge lag, schenkt sich Kaffee nach und trinkt einen Schluck.
Sein Herz macht einen Flickflack: Wieder einmal fordert sie ihn
heraus. Stets versucht sie, ihn in Besitz zu nehmen. »Ich
arbeite mit dem Ziel, dass es allen besser geht, nicht einfach
für ein eng definiertes nationales Interesse, Pam. Ich arbeite
für eine agalmische Zukunft, eine Zukunft, in der
Überfluss herrscht. Du hängst immer noch an einem
Wirtschaftsmodell, das die Singularität nicht
berücksichtigt und in Begriffen der Knappheit denkt. Die
Zuteilung von Ressourcen ist kein Problem mehr, in zehn Jahren wird
das Vergangenheit sein. Der Kosmos steht uns in jeder Hinsicht offen.
Wir können uns von der ersten Universalbank der Entropie so viel
Bandbreite besorgen, wie wir brauchen! Inzwischen ist man sogar schon
auf Anzeichen für intelligente Materie gestoßen: auf
MACHOS, große Braune Zwerge im Halo der Galaxie, die
Infrarot-Strahlung im Langwellenbereich emittieren – ein
verdächtig hohes Ausmaß von Entropie. Die jüngsten
Statistiken besagen, dass in der Galaxie M31 vor 2,9 Millionen Jahren
rund siebzig Prozent der Baryon-Masse für Rechenoperationen
genutzt wurden. Damals brachen die Photonen, die wir heute sehen, zu
ihrer Reise auf. Das Intelligenzgefälle zwischen uns und den
Aliens ist vermutlich eine Billion Mal größer als die
Kluft zwischen uns und einem Nematoden, einem mikroskopisch kleinen
Wurm. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was das bedeutet?«
Pamela, die an einem Vollkornbrot knabbert, schenkt ihm einen
trägen, männermordenden Blick. »Das ist mir doch egal.
Es ist viel zu weit weg, als dass es sich auf uns auswirken
könnte, stimmt’s? Es spielt gar keine Rolle, ob ich an
diese Singularität glaube, der du ständig nachrennst, oder
an deine Aliens, die tausend Lichtjahre entfernt sind. Das sind
Schimären, genau wie der Computer-Bug Y2K, der zur
Jahrtausendwende alle Systeme zum Absturz bringen sollte. Und
während du Jagd auf diese Schimären machst, trägst du
in keiner Weise dazu bei, das Haushaltsdefizit zu vermindern oder
Nachwuchs zu zeugen – und das sind die Dinge, die mir am
Herzen liegen. Gleich wirst du sagen, mir sei das nur wichtig, weil
ich entsprechend programmiert bin. Aber vorher solltest du dich
fragen, für wie blöde du mich eigentlich hältst. Nach
dem
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