Die Kiste der Beziehung: Wenn Paare auspacken (Populäres Sachbuch) (German Edition)
Die Sache mit dem ersten Treffen
Es heißt, das Schicksal schickt einem in den dunkelsten Stunden einen Engel, damit man nicht so allein ist mit dem Schmerz.
An diesem speziellen Tag war aber wohl gerade kein Engel frei, oder das Schicksal fand, dass in meinem Fall auch ein Rainer reicht.
Der Tag, an dem Rainer auf der Bildfläche erschien, war jedenfalls derselbe Tag, an dem Werner starb. Werner war sanft und sensibel, und ich liebte ihn.
Eigentlich war ich mit Werner nur zum Arzt gegangen, weil seine Augen in der letzten Zeit eine leicht gelbliche Farbe angenommen hatten. Ich hatte ihn zu mir geholt, weil Janosch mich nicht mehr liebte. Janosch war ein Mann und also ein doofer Klotz, der mich verlassen hatte.
Frauen bewältigen Trennungen mit neuen Frisuren, Outfits und/oder Alkohol. Wenn das alles nichts bringt, muss ein Haustier her . Darum holte ich mir Werner von der Tierhilfe. Werner war still, anschmiegsam und wartete auf mich, wenn ich nach Hause kam. Er war also ganz anders als Janosch. Die einzige Gemeinsamkeit war, dass sich beide selbst nichts zu essen machen konnten. Ich war mir sicher, dass es mit Werner besser laufen würde als mit Janosch. Werner wird bei mir bleiben, bis dass der Tod uns scheidet, dachte ich.
»Ja, wie ich vermutet habe, die Nieren sind völlig im Eimer, da kann man nichts mehr machen. Trinkt er in letzter Zeit mehr als sonst?«, fragte der Tierarzt.
Ich kam inhaltlich nicht weiter als bis »… kann man nichts mehr machen«.
»Soll ich ihn danach hierbehalten, oder wollen Sie ihn mitnehmen?«
Wie »danach«? Wie »hierbehalten«?! Der doofe Klotz im Kittel war Arzt und Mann, also doppelt unsensibel. Deswegen sprach er auch noch von den 23,95 Euro, die mich das Einschläfern kosten würde.
Vollkommen unter Schock saß ich mit meinem gelbäugigen Kater im Wartezimmer und überlegte, wie ich mich angemessen von ihm verabschieden konnte. Ein letztes Mal sein Leibgericht? Aber Werner mochte am liebsten Innereien, und Nieren mit Nieren zu trösten brachte ich nicht fertig, schließlich bin ich eine Frau und somit sensibel. Während ich mich innerlich beglückwünschte, dass ich eine Frau und sensibel bin, aber stark genug, trotzdem nicht einfach hilflos in Tränen auszubrechen, sprach mich ein Typ mit einem riesigen weißen Hundekragen an, und es gab kein Halten mehr.
Ich weiß nicht mehr, was er sagte, aber allein dass er mich ansprach, öffnete sämtliche Schleusen. Beim Heulen haben Frauen ein genauso beschissenes Timing wie Männer beim Schlussmachen. Während ich Werner mit meinen Tränen bekleckerte, ahnte der nicht mal, dass der Katzenhimmel für ihn nur 23,95 Euro entfernt war. Kater sind eben auch nur Männer, und Männer sind wie Traumschiff-Folgen: alle gleich. Man wird nie überrascht. Aber beim Traumschiff gibt’s wenigstens immer ein Happy End , und sei es noch so blöd. Männer sind zwar auch oft blöd, aber manchmal überraschen sie am Ende und verlassen einen, wenn man nicht damit rechnet. Sei es wegen Nieren, wie Werner, oder wegen Yvonne, wie Janosch. Unfair, denn alleine war am Ende so oder so ich .
Der nächste Heulanfall galt mir selbst, was dazu führte, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, weil ich mir mehr leidtat als mein zukünftiger Ex-Werner. Deswegen musste ich noch mehr heulen. Wie viele Tränen hat eine Frau eigentlich? Ich würde bald mal nachtrinken müssen, dachte ich. Der Typ mit der Halskrause, der inzwischen neben mir saß, war sensibel genug, mich nicht beim Heulen zu unterbrechen. Er schwieg einfach, was ich ihm hoch anrechnete. Ein Mann, der an der richtigen Stelle schweigt, ist in freier Wildbahn so selten wie ein singendes Einhorn.
Kurz bevor ich komplett dehydrierte, fragte er mich auch noch: »Soll ich mit dir reingehen?« Unter meinem Tränenschleier konnte ich nicht erkennen, ob der Mann ganz gut oder ganz scheiße aussah, ich sah nur seine Augen, die mich aus dem großen, weißen Trichter voller Mitleid anschauten.
Er ging tatsächlich mit, als Werner eingeschläfert wurde. Die ganze Zeit stand er neben mir und war da. Auch danach, als ich einen hysterischen Anfall bekam, weil ich nicht wusste, wohin mit Werner. Rainer zahlte den Tierarzt, fuhr mit mir in den Stadtwald, wo er mit bloßen Händen und einer CD-Hülle von Santana ein Loch grub und Werner bestattete. Zwischen Männern und Frauen ist der Anfang und das Ende meist banal.
Rainer kaufte mir ein Eis, und wir gingen spazieren, bis ich wieder halbwegs geradeaus
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