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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Bayes-Theorem liege ich nämlich richtig, und das weißt
du auch.«
    »Was willst du…« Verwirrt bricht er ab, weil er
spürt, dass sein Wortschwall, sein verrückter Enthusiasmus,
an der Mauer ihrer dogmatischen Überzeugungen abprallt.
»Warum? Ich meine, wieso das alles? Warum, in aller Welt, sollte
dich das, was ich tue, überhaupt kümmern?« (Zumal
du unsere Verlobung gelöst hast, denkt er, ohne es
auszusprechen.)
    Sie seufzt. »Manny, die Finanzbehörden kümmern sich
um weit mehr, als du dir vorstellen kannst. Jeden Dollar der Steuer,
die östlich des Mississippi erhoben wird, verwenden sie dazu,
das Haushaltsloch zu stopfen. Wusstest du das? Die Generation, die
bei uns jetzt ins Rentenalter kommt, ist die zahlenstärkste in
der ganzen amerikanischen Geschichte, und die Kassen sind leer. Und
wir, unsere Generation, bringt nicht genügend qualifizierte
Arbeitskräfte hervor, um die frühere Anzahl der
Steuerzahler zu ersetzen. Unsere Eltern haben das öffentliche
Bildungssystem verkommen lassen und die Arbeitsplätze für
qualifizierte Angestellte ins Ausland verlagert. In zehn Jahren
werden rund dreißig Prozent unserer Bevölkerung aus
Rentnern und Pensionären und Opfern des verrosteten
Silizium-Gürtels bestehen. Möchtest du erleben, dass
Siebzigjährige in New Jersey an den Straßenecken
erfrieren? Deine Haltung deutet ganz darauf hin, denn du trägst
in keiner Weise dazu bei, solche Menschen zu unterstützen. In
dieser Phase, in der wir mit riesigen Problemen konfrontiert sind,
hast du nichts Besseres zu tun, als dich vor deiner Verantwortung zu
drücken. Könnten wir die Zeitbombe der Schuldenlast doch
nur entschärfen, dann wäre so vieles möglich. Wir
könnten gegen das Problem der Überalterung unserer
Gesellschaft angehen, für den Schutz der Umwelt sorgen, die
Krankheiten der Gesellschaft heilen. Stattdessen verschleuderst du
deine Gaben, indem du hoffnungslosen Verlierern in Europa sichere
Tipps dafür gibst, wie sie schnell reich werden können.
Oder erzählst vietnamesischen Zaibatsus, was sie als
Nächstes aufziehen können, um unseren Steuerzahlern die
Arbeitsplätze wegzunehmen. Worauf ich hinaus will: Warum tust du
das? Warum tust du ständig solche Dinge? Warum kannst du nicht
einfach wieder nach Hause kommen und deinen Teil der Verantwortung
übernehmen?«
    Sie tauschen einen langen Blick miteinander aus, der verrät,
dass sie völlig aneinander vorbeireden.
    »Hör zu«, sagt sie schließlich unbeholfen,
»ich bin noch ein paar Tage in der Gegend. Eigentlich bin ich
hier, um mich mit einem stinkreichen Steuerflüchtling zu
treffen, der in Neurodynamik macht. Jim Bezier, er steht ganz oben
auf der Liste unserer Steuerfahndung. Weiß nicht, ob du schon
von ihm gehört hast. Jedenfalls treffe ich mich heute Vormittag
mit ihm, um seine Steuererklärung abzuzeichnen. Danach habe ich
zwei Tage frei und außer Einkaufen nicht viel zu tun.
Weißt du, eigentlich würde ich mein Geld ja lieber dort
ausgeben, wo es irgendwie von Nutzen ist, als es einfach in die EU zu
pumpen. Aber wenn du Lust hast, ein paar angenehme Tage mit mir zu
verbringen, und mal fünf Minuten lang darauf verzichten kannst,
den Kapitalismus zu sezieren…«
    Als sie eine Fingerspitze ausstreckt, tut es Manfred ihr nach
kurzem Zögern nach. Sie berühren einander, tauschen vCards
und den sofortigen Zugriff auf Nachrichten des Partners aus. Danach
steht Pamela auf und stolziert aus dem Frühstückszimmer.
Manfred bleibt kurz die Luft weg: Durch ihren Rockschlitz, der so
weit hoch reicht, dass er zu Hause den Tatbestand der sexuellen
Provokation am Arbeitsplatz erfüllen würde, erhascht er
einen Blick auf ihre Knöchel. Pamelas Gegenwart beschwört
in ihm Erinnerungen herauf. Er denkt an ihre Leidenschaft für
Bondage, an ihre soliden sadistischen Sexualpraktiken, die ein
rosarotes Nachglühen mit sich bringen. Benommen stellt er fest,
dass Pam wieder einmal versucht, ihn in ihre Umlaufbahn zu
katapultieren. Ihr ist klar, dass sie, wann immer sie Lust hat, diese
Wirkung auf ihn ausüben kann. Sie besitzt den persönlichen
Schlüssel zu seinem Hypothalamus, und den Metacortex kann sie
jederzeit außer Kraft setzen. Ihrer Ideologie, der Ideologie
des einundzwanzigsten Jahrhunderts, verleihen drei Milliarden Jahre
Fortpflanzungstrieb den nötigen Nachdruck. Falls sie sich
unwiderruflich vorgenommen hat, seine Gameten für den Krieg
gegen die drohende Überalterungskrise zu rekrutieren, wird er
Mühe haben, sich dagegen zu

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